Buch-Rezension: Once upon Atari

Der Atari-Wunderprogrammierer Howard Scott Warshaw hat Anfang der 1980er Jahre auf dem VCS-System drei Werke geschaffen, die im kollektiven Spiele-Gedächtnis verankert sind. Und nebenbei die ganze Videospiel-Industrie in den Abgrund gerissen, wenn man einem populären Glauben anhängen möchte. Hier schildert er seine Sicht.

Bodo mit dem Bagger

Die Erzählung schlängelt sich um zwei Ankerpunkte, auf die Warshaw immer wieder zurückkommt: Der Leser steht mit ihm zusammen auf einer Deponie von New Mexico, während Bagger nach entsorgten Atari-Modulen suchen. Einer dieser sagenumwobenen Titel ist E.T the Extra-Terrestrial aus seiner Feder, angeblich eines der schlechtesten Spiele aller Zeiten. Entsprechend schwankt Warshaw zwischen den Baggern im Jahre 2014 und seinem Schreibtisch bei Atari anno 1982 hin und her. Ist die Ausgrabung zu Beginn des Buchs noch sehr präsent, taucht Warshaw bald doch tief in seine Erinnerungen ein. Zu seiner Zeit wurden Videospiele noch von einzelnen Personen oder maximal von kleinen Teams kreiert. Wie entstand Yars‘ Revenge und hat wirklich niemand gemerkt, dass Yar ein Anagramm von Ray, dem Vornamen des damaligen CEOs Ray Kassar, war? Was hielt Steven Spielberg von Raiders of the Lost Ark, der ersten Film-Versoftung überhaupt? Na, Letzteres verrate ich schon mal:

That’s really great, Howard. It feels just like a movie.

Nun, bei einem aktuellen Blick auf ein Raiders-Video würde ich sagen: Über diese Aussage lässt sich heutzutage streiten. Eines ist allerdings sicher: Howard Scott Warshaw galt nach diesen beiden Spielen als genialer Kopf – und er ließ sich in dieser Situation auf eine völlig verrückte Sache ein: Er wollte innerhalb von fünf Wochen das Spiel zu Spielbergs nächstem Film designen und programmieren.

Nach Hause telefonieren

Dieser Abschnitt taucht am häufigsten im Buch auf. Kein Wunder, ist doch der Untertitel „How I made history by killing an industry“. Allerdings sollte sich jeder interessierte Leser von der Vorstellung einer halbwegs chronologischen Erzählung verabschieden. Warshaw springt häufiger zwischen den Zeiten hin und her als Sergio Leone bei Es war einmal in Amerika. Aber immer wieder kehrt er zu E.T. zurück – und reiht man diese Abschnitte aneinander, bauen sie tatsächlich halbwegs aufeinander auf.

Dazwischen erzählt Warshaw, wie seine Ausbildung lief und wo er vor Atari gearbeitet hat (so ungefähr ab Seite 150), wann andere Atari-Programmierer um Rob Fulop abwanderten, um Imagic zu gründen (die Geschichte taucht immer mal wieder auf) und wie sich der große Crash auf ihn ausgewirkt hat. Dies alles beschreibt er charmant und ausufernd. Wohlgemerkt: Ausufernd, ohne langweilig zu sein. Es wirkt nur manchmal so, als ob die letzten zwei bis drei Seiten bis auf Stimmungsaufbau keinerlei Funktion erfüllen. Dann wiederum: Was könnte wichtiger als die Vermittlung der Stimmung sein? Genau deshalb liest man ja Bücher über längst vergangene Zeiten.

Und wer sitzt nicht gerne in einer kleinen Ecke im Büro, wenn Warshaw seine E.T.-Idee Steven Spielberg erzählt? Der sich das alles anhört und dann anmerkt:

Couldn’t you do something more like Pac-Man?

Genau das konnte der Programmierer natürlich nicht tun. Denn das Konzept, das er vorlegte, war seiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, überhaupt ein Spiel in fünf Wochen fertig zu bekommen. Wie er zu dieser Einschätzung kommt und wie sehr er sich dennoch verschätzt hat, steht wieder an einer ganz anderen Stelle im Buch. Wer dieses Buch über Wochen und Monate verteilt immer mal wieder zur Hand nimmt, wird daher weniger Freude damit haben wie ein Leser, der dran bleibt. Dann fügen sich die Flicken zu einem hübschen Teppich.

Marketing

Immer wieder kommt Warshaw auf die Firmen-Situation bei Atari zurück. Der rasante Wandel von einer Firma voller Nerds, die mit ihren Spielen einfach nur Spaß verbreiten wollten hin zu einer Marketing-getriebenen Maschinerie kam bei ihm wenig überraschend nicht gut an. Gerne geht er auf die vielen Testläufe ein, die seine Spiele wegen der Vertriebs-Abteilung absolvieren mussten. Immer mit guten bis hervorragenden Ergebnissen – die dann von genau den gleichen Leuten trotzdem ignoriert wurden. Zum Beispiel stellte sich heraus dass Yars‘ Revenge bei Frauen überdurchschnittlich gut ankam. Genau nach so einem Titel suchte das Marketing normalerweise händeringend. Doch wie reagierten die entsprechenden Stellen?

„Oh. We’re not going to market it to women.“ Why not?

„It’s a space station action shooter and women don’t like space station action shooters.“ But your own testing says they like this one!

„Trust me, they don’t.“ Then why do you test the game?

„To find out if people like it“.

Der Autor nimmt den Leser auch noch mit auf eine kleine Reise in ein Programmierer-Hirn und erklärt, warum Menschen wie er gerne dreimal so viele Worte benutzen, um einen Sachverhalt zu erklären: Weil Programmierer immer danach streben, jede Möglichkeit eines Missverständnisses auszuschließen. Was dennoch trotz aller Erklärungsversuche unklar bleibt: Wieso er die Entwicklung von E.T. angenommen hat. Einen Job, den niemand sonst machen wollte. Natürlich schreibt er darüber, dass ihm Druck damals nicht viel ausgemacht hat und er schon immer gerne schnell gearbeitet hat. Aber wie kommt man auf die Idee, nach zehn Monaten Entwicklungszeit für Raiders of the Lost Ark mit fünf Wochen auskommen zu können?

Howard Scott Warshaw steht also 2014 neben diesem Bagger und sieht dabei zu, wie sein damaliges Lebenswerk tatsächlich wieder ausgebuddelt wurde. Er selbst ist und war mit E.T immer im Reinen. Er wusste, dass er kein Meisterwerk abgeliefert hatte. Aber ebenso war ihm klar, dass es beileibe kein schlechter Titel war – und erst recht nicht das schlechteste Spiel aller Zeiten. Sein Werk hatte nur das Pech, im Laufe der Jahre zu einem Symbol für den Crash zu werden. Wie Ernest Cline im Vorwort schreibt:

… when the internet came along I saw people attempting to label E.T. as „the worst game of all time“, I knew they were all completely full of crap. And I still do. E.T. was one of the most innovative and groundbreaking video games of its time.

Ich nehme an, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegen wird. Was ich aber mit Sicherheit sagen kann: Wer dieses Buch liest, wird – während er hervorragend unterhalten wird – viele Hintergründe kennenlernen, die zum großen Crash geführt haben. Und E.T. ist keiner davon.

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Über Jürgen

Geschichts- und Musik-Liebhaber mit einer Schwäche für viel zu lange Computerspiele. Der Werdegang CPC - Pause - PC und Konsolen sorgt dafür, dass ich noch so viele schöne alten Perlen entdecken darf.

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