Der „ultimative Insider“ Ken Williams schrieb 2020 einige seiner Erinnerungen rund um Sierra On-Line auf. Ist das Buch lesenswert? >open book
Die Aufarbeitung der Gaming-Historie ist in den letzten Jahren einige gewaltige Schritte gegangen. Sowohl im Video- als auch im Spiele-Bereich selbst entstanden umfangreiche Sammlungen. Dokumentationen wie sie auf dem No-Clip-Kanal zu finden sind, tauchen tief in die Geschichte von Return to Monkey Island oder Pentiment ein. Selbst Hand anlegen kann der Spieler bei digitalen Museums-Besuchen wie Atari 50 oder Llamasoft: The Jeff Minter Story. Doch auch das gute alte Buch hat seinen Teil beigetragen und erfreut sich reger Schreibarbeit. Geht es hierbei um die Firma Sierra On-Line, so ist neben den ersten beiden Bänden der Sierra Collector’s Quest und The Sierra Adventure von Shawn Mills noch eine Art autobiographische Erinnerungssammlung von Ken Williams, dem Gründer und langjährigen Chef der Firma, erschienen.
Rich
Schon auf den ersten Seiten wird klar, dass Williams kein Blatt vor den Mund nimmt. Vor allem versucht er erst gar nicht, sich sympathisch darzustellen. Er selbst sagt über sich selbst in seinen Jugendjahren:
Somewhere along the way I had developed an aggressive personality.
Und weiter: Von Anfang an ging es ihm nur darum, reich zu werden. Und darum, zu verkaufen. Egal welches Produkt: Williams war der geborene Verkäufer. Selbst sich selbst hat er an die Frau gebracht: Roberta Heuer musste er erst während eines langen Telefonats davon überzeugen, mit ihm auszugehen. So humorvoll er diese Momente auch schildert, kann der Leser schon nach fünf Seiten feststellen, ob er diesem Charakter über die weiteren 400 Seiten die Treue hält.
Die beiden heiraten fünf Tage nach Williams‘ 18. Geburtstag. Die ein Jahr ältere Roberta wird wenige Monate danach schwanger. Zeit für den werdenden Vater, sich über die Zukunft Gedanken zu machen. Per Fernstudium erlernt er Programmierung, allerdings muss er für die Gebühren einen Kredit aufnehmen. Doch glücklicherweise bekommt er direkt nach dem Kurs einen Job als Computer Operator und verbringt die nächsten Jahre nach dem immer gleichen Muster: Er lernt alles, was es im jeweiligen Berufszweig zu lernen gibt und wechselt dann für ein höheres Gehalt zur nächsten Firma. Parallel zu diesem Vollzeitjob suchte er sich noch Auftragsarbeit als Programmierer, die er nachts zuhause erledigte.
Um mehr Geld zu verdienen, sollte auch Roberta Williams arbeiten gehen. Diese Stelle ist immer noch sehr früh im Buch (Seite 35-36), zeigt aber schön die Dynamik des Texts: Erst schreibt Ken darüber, wie er Roberta in den Job als Computer Operator hineinredet. Die Problematik sei gewesen, dass Roberta natürlich keinerlei Ahnung von diesen technischen Dingen gehabt habe. Es folgt ein Einschub von Roberta, die das ziemlich anders darstellt – und darunter nur Kens Kommentar, dass Robertas Zitat entstanden sei, nachdem sie Kens Zeilen gelesen habe. Entweder ist sein Ego so groß, dass er den Text nicht überarbeiten wollte (durchaus wahrscheinlich), oder aber ihm wurde schon während der Schreiberei langweilig und er wollte nur noch weiterkommen im Text.
Für einen zielstrebigen Charakter wie Ken Williams (wie er sich im Buch darstellt) sind die Seiten doch recht sprunghaft gefüllt. Ein Lektorat hätte sicherlich einige Stellen gestrichen, geglättet oder strukturiert. In die halbwegs chronologische Erzählung hin zu und weg von Sierra On-Line streut Williams immer wieder Kapitel ein, die er Interlude nennt. Hier gibt er Programmier- oder Chef-Weisheiten zum Besten. Gerade in letzterer Kategorie zeigt sich wieder der unbedingte Wille zum Erfolg. Wer es nicht schafft, ist einfach zu schwach. Ein Glück, dass diese Ausbrüche im Laufe des Buchs schwächer werden.
Sierra On-Line
Ein Großteil von „Not all Fairy Tales have Happy Endings“ dreht sich natürlich um die Jahre, die das Ehepaar Williams bei Sierra On-Line zugebracht haben. Von den einfachen Anfängen, in denen Roberta ein besseres Adventure als Colossal Cave Adventure schreiben wollte bis hin zu der bitteren Erkenntnis, dass einem seine eigene Firma irgendwann nicht mehr gehört. Williams schreibt zu Beginn des Buchs, dass es keine vollständige Erinnerungs-Reise durch die Geschichte sein werde – doch er bringt natürlich dennoch einzigartige Einblicke. Wie Roberta ihn anfangs überredet. Wie er die ersten Tools schreibt, damit sie alleine vor sich hinwerkeln und er wieder seine eigentliche Arbeit machen kann. Und am Ende spürt der Leser die Bitterkeit, die Ken Williams immer noch verspürt, wenn es mit der Firma, wie er sie kannte, zu Ende geht.
Dazwischen gibt es mal bittere Momente, mal komische Anekdoten. Alles natürlich aus Sicht des guten Verkäufers. Wer sich dafür interessiert, warum Spiele rechtzeitig vor Weihnachten auf dem Markt sein mussten, ist hier richtig. Williams spricht auch über Bill Gates, Jeff Bezos und Steve Wozniak. Bewundernd selbstverständlich. Auch geht er kurz auf das Buch „Hackers“ von Stephen Levy ein, das ein recht anarchisches Bild von Sierra On-Line zeichnet. Ein kurzes Kapitel beschäftigt sich damit, nach welchen Kriterien er neue Sierra-Designer ausgesucht hat, eines beschäftigt sich mit den frühen Online-Versuchen seiner Firma. Ihm ist wichtig, dass seine Verdienste nicht zu kurz kommen – gibt gleichzeitig allerdings auch freimütig Fehler zu.
Fazit
Niemand wird das Buch am Ende mit dem Gefühl beiseite legen, dass er nun über die Geschichte von Sierra On-Line komplett Bescheid weiß. Was allerdings auf jeden Fall hängen bleibt, ist die Gedankenwelt von Ken Williams. Man versteht seine Motivation, seinen Antrieb über all die Jahre. Wie er selbst am Ende „seiner“ Firma behandelt wurde, schreibt er sich teilweise selbst zu. Geschäft ist nun mal Geschäft. Dass seine Designer wie Al Lowe, Jane Jensen und natürlich Roberta Williams aber von der neuen Geschäftsleitung mehr oder weniger direkt vor die Tür gesetzt wurden, stößt ihm sauer auf.
Ich habe das Buch für diesen Artikel ein zweites Mal gelesen und war erneut gefesselt. Der Stil von Williams ist manchmal schwierig, sein Charakter ebenso. Sagen wir so: Mit ihm drei Wochen auf seinem Schiff möchte ich eher nicht verbringen. Aber jederzeit noch ein Buch von ihm lesen.
Schöner Artikel, ob ich mir das Buch holen werde…. Weiß ich nicht.
Habe aber einen lustigen Typo gefunden, „Robert Heuer“…
ich glaube er ist mit seiner Schwester, RobertA Heuer ausgegangen 😉
Vielleicht hat Jürgen ja exklusive Informationen über Robert(a), die er auf diese Weise im Text versteckt hat?!
Ihr habt sicherlich Verständnis dafür, dass ich nur über die Dinge Auskunft geben darf, die mir erlaubt wurden 🙂