Zeitreise: Wie die Browsergame-Kultur vor dem Vergessen bewahrt wird

Spiele ganz einfach im Internetbrowser spielen – ohne irgendetwas runterzuladen. Das galt in den 2000ern wirklich mal als Zukunftstechnologie. Im folgenden Artikel schauen wir uns die Entwicklung der Browsergame-Kultur an und es gibt einige Rückblicke auf prägende Titel.

Das alte Internet

Jede Generation hat ihre eigene Spielkultur. Was für uns alte Hasen der 80er und 90er Jahre der C64, der Game Boy oder das Mega Drive waren, war für viele Kids der 2000er das Internet: das maßgebliche Zentrum. Provokante oder einfach nur lustige Flash-Animationen auf Newgrounds anschauen, mit Freunden auf Kongregate um Highscores wetteifern oder Trophäen in zehntausenden Spielen sammeln – Plugins wie Flash, Shockwave oder Java prägten vor 20 Jahren den Stil des damaligen Internets. Es gab Firmen wie Nitrome oder Flipline Studios, die sich allein durch solche Spiele erfolgreich finanzierten. Und: Keine Homepage ohne eingebettete Flash-Spiele. Es war eine Zeit, in der die Neugier auf die neuen Möglichkeiten des Internets groß war; eine Zeit vor Social-Media-Plattformen wie Instagram oder TikTok.

Die Entwicklung von Flash, Shockwave & Co. begann bereits in den 90er Jahren, als Internet-Seiten aus kaum mehr bestanden als einfachen HTML-Befehlen. In den späten 90er Jahren haben jugendliche Künstler Flash-Animationen als Ausdrucksform entdeckt, etwa um gesellschaftliche Ereignisse wie das Schulattentat von Columbine zu thematisieren. Häufig beinhalteten diese Animationen jedoch schlicht pubertären Humor – in jedem Fall zeigen diese Animationen häufig einen Einblick in die Jugendkultur der frühen 2000er Jahre und waren Vorläufer der späteren Meme-Kultur.

Ob nun ein betrunkener Yoda über die damals neuen Star Wars Filme sinniert oder ausgerechnet das Monopoly-Maskottchen von einem kapitalismuskritischen Gangster überfallen wird – nicht selten gaben diese kleinen Animationen mit der Sprachausgabe ihrer oftmals jugendlichen Ersteller einen Einblick in die Gedankenwelt der Generation Y.

Schnell wurden Plattformen wie Newgrounds größer, zogen mehr und mehr Jugendliche an und entwickelten sich quasi zu den ersten Social-Plattformen der Internetgeschichte, noch Jahre vor MySpace, Facebook & Co. Gleichzeitig wurde durch neue Versionen von Macromedia Flash und Shockwave die Plattformen auch für Entwickler von Indie Games interessant. Spieldesigner wie Edmund Mcmillen (bekannt für u.a. Super Meat Boy oder The Binding of Isaac) starteten ihre Karriere mit kleinen Flash-Spielen. Genres wie Match3-Puzzlespiele wurden ebenfalls durch Browser-Games populär, bevor sie dann ab den 2010er Jahren vor allem im Mobile Bereich zu finden waren.

Das kurzlebige Ökosystem der Browsergames

Spätestens mit dem Start von Kongregate im Jahr 2006 wurden Browsergames auch kommerziell interessant – und für die Entwickler bot sich die Möglichkeit, Geld zu verdienen. Zum einen durch Werbung auf den Seiten, zum anderen erhielten namhafte Entwickler lukrative Angebote für die exklusive oder zeitexklusive Veröffentlichung ihrer Spiele auf den zahlreichen Plattformen wie Kongregate, Newgrounds, Armor Games, Miniclip, A10 & Co. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich ein regelrechter Kampf der verschiedenen Plattformen um die Aufmerksamkeit der Nutzer.

Das fing bei immer mehr sozialen Features wie Highscores, Freundeslisten, Chats, Online-Multiplayer und ähnlichem an und hörte bei Turnieren um echtes Geld noch lange nicht auf. Es war teilweise wirklich absurd, mit welchen Aktionen die Plattformen versuchten, die Nutzer auf ihren Seiten zu halten. Die damals guten Werbeeinnahmen machten es möglich.

Der kommerzielle Niedergang der Browsergames

Als Steve Jobs 2007 das iPhone vorstellte, wurde schnell klar, dass der integrierte Browser keine Plug-ins wie Flash, Java oder Shockwave unterstützen würde. Der Grund dafür war, dass diese Plugins leicht zu hacken waren und somit eine Sicherheitslücke darstellten. Das war ein erster Sargnagel, denn fortan wurden die Sicherheitsbedenken immer größer. Nicht nur Spiele setzten auf diese Plugins, sondern auch frühe Streaming-Anbieter wie die britische BBC.

Ab 2008 entwickelte sich HTML5 in den folgenden Jahren zum neuen Standard, die Zeit von Flash & Co. war abgelaufen. Adobe, das inzwischen Macromedia übernommen hatte, sah keinen Sinn mehr in der Weiterentwicklung von Flash und Shockwave und beendete die Verbreitung im Jahr 2020. Doch schon Jahre zuvor hatten die Plugins keinen guten Ruf. Zudem wurde die Konkurrenz durch Mobile Games immer größer, so dass Browsergames nur noch ein Nischendasein fristeten.

Entwicklungsumgebungen mit absichtlichen technischen Limitierungen wie Pico-8 nutzen HTML5, um Spiele leicht zugänglich zu machen, zahlreiche Entwickler bieten Browsergames über itch.io an. Auch die Plattformen Kongregate, Armor Games sowie Newgrounds sind zwar immer noch aktiv, die großen Zeiten sind jedoch seit mindestens einem Jahrzehnt vorbei. So haben sich Firmen wie Miniclip ganz auf die Entwicklung von Mobile Games spezialisiert und den Betrieb von Browsergames aufgegeben. Auch lässt sich im heutigen Umfeld kein Geld mehr mit Werbung verdienen. Newgrounds etwa wird mittlerweile durch ein Unterstützer-Modell sowie diversen Crowdfundings am Leben erhalten. Immerhin erscheinen jedoch noch neue Animationen und Spiele.

Die Rettung für Flash & Co.

Mitte der 2010er Jahre war es beschlossene Sache: Der Support für Flash, Shockwave und andere Plugins würde in wenigen Jahren eingestellt. Damit war über 20 Jahre Internet-Geschichte in ernsthafter Gefahr, für immer verloren zu gehen. Ben Latimer aus Australien, ehemaliges Mitglied von Jason Scott’s Archive Team, gründete im Jahr 2017 das Projekt Flashpoint. Sein Ziel war es ursprünglich, Flash-Spiele für die Nachwelt zu erhalten. Er programmierte einen Launcher und veröffentlichte die erste Version 2018 mit lediglich 850 Spielen. Sehr schnell wuchs eine leidenschaftliche Community, die in den folgenden Jahren hunderttausende Spiele und Animationen sicherte und über Flashpoint zugänglich machte. Dabei blieb es nicht nur bei Flash, mittlerweile unterstützt Flashpoint über 100 verschiedene Entwicklungsumgebungen.

Die mit dem Launcher verbundenen Player und Browser bleiben strikt offline. Damit viele Spiele gestartet werden können, arbeitet der Launcher mit einem lokalen Proxy-Server, der den Spielen vorgaukelt, auf der jeweiligen Originalseite zu laufen. Mit knapp 170.000 Spielen und 30.000 Animationen wurde ein Großteil der letzten 20 Jahren Browsergame-Geschichte archiviert und können heute problemlos über den Launcher heruntergeladen und gestartet werden. Es gibt von Flashpoint auch eine vollständige Offline-Version, diese besitzt derzeit eine Größe von 1.68 Terrabyte.

Ihr könnt eigene Listen anlegen, nach diversen Tag und Technologien suchen und habt auf diese Weise ein beeindruckendes Browsergame-Museum.


Seit 2019 wird zudem der Ruffle-Emulator entwickelt. Das Ziel der Entwickler ist es, die Flash-Umgebung zu emulieren und richtet sich vor allem an Seitenbetreiber, die damit ihrer alten Inhalte zugänglich halten wollen. Das funktioniert mittlerweile recht gut, auch wenn manche Spiele nach wie vor nicht richtig gut drin laufen. Bis Ruffle fertig entwickelt ist, werden wohl noch einige Jahre ins Land gehen. Wer Ruffle dennoch in Aktion sehen möchte, kann beispielsweise alte Flash-Spiele auf Newgrounds aufrufen.

Spieletipps auf den nachfolgenden Seiten

Wer jetzt Lust bekommen hat, sich Flashpoint herunterzuladen und ein paar Spiele anzuschauen, jedoch davor zurückschreckt, unter 170.000 Einträgen etwas Passendes zu finden, für den sind die folgenden Seiten sicher interessant. Denn ich werde euch einige meiner liebsten Browsergames aus verschiedenen Genres vorstellen. Von gelungenen Casual Games über Jump & Runs bis hin zu kreativen Puzzlespielen. Natürlich wie immer rein subjektiv ausgewählt.

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Über Nischenliebhaber

Ostdeutsches Videothekenkind der 90er Jahre. Liebt Spiele- und Retrokultur ebenso wie subkulturelle Musik aus aller Herren Länder und lange Spaziergänge durch dunkle Wälder des Erzgebirges.

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8 Comments on “Zeitreise: Wie die Browsergame-Kultur vor dem Vergessen bewahrt wird”

  1. Wow! Vielen Dank für diesen Rundumschlag!

    Meine eigenen Erfahrungen schwanken zwischen „sehr begrenzt“ und „nicht vorhanden“. Allerdings glaube ich, dass ich damals ein wenig Wonderputt gespielt haben muss. Kommt mir doch sehr bekannt vor und sieht echt hübsch aus.
    Meine eigenen aktuellen Flash-Erfahrungen sind hauptsächlich alte Webseiten zu den Legend-Spielen. Und da funktioniert die Seite zu Unreal 2 nicht mehr – Wayback Machine hin oder her.

  2. Von den genannten Spielen kenne ich nur Canabalt, aber auch nicht als Flash-, sondern als iOS Spiel. Da gibt es aber auch Musik und Sound.

    Ein sehr interessanter Artikel der Lust macht, sich durch alle 170.000 Spiele durchzuprobieren. 🙂

  3. Sehr schöner Artikel. Ich fürchte, von den aufgeführten Spielen kenne ich gar nichts. Mein Horizont ist allerdings auch komplett auf Point&Click beschränkt.
    Da sind mir die kleinen und auch sehr einfach gehaltenen Spiele (perfekt für die Pause zwischendurch) von Carmel Games in Erinnerung geblieben – die sind aber noch nicht ganz so lang her, wie die hier aufgeführten.

    1. Ui, Carmel Games ist komplett an mir vorbeigegangen. Hätte sich hervorragend geeignet. In Flashpoint sind auch 119 (!) Spiele von dem Studio, scheinbar fast alles Point & Click Adventures. Kurios! 😀

  4. Der Artikel ist mal wieder sehr gelungen. Bei den Spieleempfehlungen finde ich mich allerdings nicht wieder. Wo sind die Tower Defense-Spiele? Wo die Launcher Games? Was ist mit solchen Dingen wie QWOP? Das einzige von dir genannte Spiel, das ich wirklich auch gespielt habe, ist Canabalt.
    Das war’s, mehr zu meckern habe ich nicht. 🙂

    1. Das kommt tatächlich im angedachten Artikel über frühe iOS Spiele. Tower Defense und Launcher Games verbinde ich eher damit, auch wenn da die Grenzen zwischen Mobile und Browser zu der Zeit natürlich mehr als fließend sind. 😀

  5. Flash-Spiele sind genauso wie ICQ-Pool und Slide a Lama für mich in totaler Nostalgietrip zurück in meine frühe Jugend und die Zeit, in welcher ich das Internet für mich entdeckt habe.

    Eines der besten Flash-Spiele, was ich immer wieder gespielt habe, war Motherload. Von dem Projekt Flashpoint habe ich vorher auch noch nicht gehört. Werde ich mir demnächst einmal anschauen.

    Wirklich sehr schöner Artikel.

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