Ich liege angekettet auf einem extrem unbequemen Tisch. Ein Laser zielt zwischen meine Beine. Goldfinger ist hier. Jetzt nur keinen Fehler machen. Ich tippe „Goldfinger, do you expect me to talk?“
Film-Versoftungen sind seit den Frühzeiten der Videospiele gang und gäbe. Viele dieser Spiele haben einen eher zweifelhaften Ruhm erworben. Selbst, wenn E.T. aus dem Jahre 1982 doch nicht das schlechteste Spiel aller Zeiten ist: Bis auf wenige Ausnahmen haben Filmspiele zu Recht keinen guten Ruf. Als ganz besonders schlecht habe ich die James-Bond-Spiele der Firma Domark in Erinnerung. Da ich aber derzeit alle Filme dieses Franchise anschaue, wollte ich diese dunkle Erinnerung einem Realitäts-Check unterziehen. Und ich kann sagen: Ja, die Dinger sind wirklich schlecht.
Im Zuge meiner Suche stolperte ich allerdings auch über einen faszinierenden Ansatz der mir bis dahin völlig unbekannten Firma Angelsoft: Text-Adventures. Zu diesen Actionfilmen! Und es stellte sich heraus, dass sie neben James Bond auch noch weitere Filmfiguren zu literarischen Helden gemacht haben. Das wollte ich genauer wissen. Und ich musste euch das hier natürlich vorstellen.
Interactive Fiction
Angelsoft-Spiele haben zwei ganz besondere Eigenheiten. So werden wichtige Gegenstände mit dem bestimmten Artikel benannt. Zum Beispiel liegt da in der Einöde nicht „a knife“ auf dem Boden. Nein, es ist „the knife“. Ganz so, als würden wir den Gegenstand schon seit Jahren kennen und hätten ihn nun endlich freudestrahlend wiedergefunden. Außerdem arbeiten die meisten Spiele dieser Firma mit einem Zufallsgenerator. Selbst, wenn der Spieler alles richtig eingab, konnte ein Zufallsereignis alles zunichte machen und ihn zurück zum letzten Savegame zwingen. Überhaupt sind diese Adventures richtig schwer. In mehreren Spielen ist es möglich, direkt mit dem ersten Zug zu sterben. Einfach, weil wir in die falsche Richtung gelaufen sind. Und auch im späteren Spielverlauf ist es praktisch niemals möglich, eine Situation ohne viele viele Tode zu lösen.
A View to a Kill (1985)
Am 22. Mai 1985 feierte der siebte und letzte Bond-Film mit Roger Moore in San Francisco seine Uraufführung. „A View to a Kill“ (in Deutschland „Im Angesicht des Todes“) hatte mit der Arktis, Paris und San Francisco wieder eine Menge an Schauwerten zu bieten und baute bei der Story auf einen Bösewicht, der mit Mikrochips das große Geld verdienen will. Genug Stoff also für den Autoren Raymond Benson, um daraus ein spannendes Abenteuer zu stricken.
Erste Abenteurerpflicht ist ja üblicherweise, die Umgebung zu erkunden. Aber wer nach Süden geht, wird direkt gefangen genommen und muss danach den Dienst quittieren. Wer im Norden 003s Leiche findet und mit „examine 003“ den üblichen Befehl eingibt, bekommt nur dessen Tod durch Bleivergiftung bestätigt. „Examine 003 carefully“ heißt das Zauberwort, um eine Uhr mit Mikrochip zu entdecken. Dass wir einen solchen Chip finden sollten, können wir nur aus dem Film wissen. Die anschließende Flucht vor den russischen Häschern und mittels getarntem U-Boot sind entweder in sechs bis sieben Zügen erledigt (wenn man die richtigen Eingaben kennt) oder frustrieren für Tage. Die weiteren Stationen werden dann flott abgehandelt. Einen kurzer Besuch in M’s Büro später landet Bond auch schon auf dem Eiffelturm und kann den Tod seines Kontaktmanns nicht verhindern.
Before you is a bay near the Kamchatka Peninsula. Huge ice floes dot the bay like a school of sunbathing white whales. Your getaway is to the south. Behind you is a large, snow covered hill, marred only by your tracks.
Rambo – First Blood Part Two (1985)
Der erste Rambo-Film war bei aller Gewalt eine Studie über einen gebrochenen Vietnam-Soldaten und sein Heimatland, mit dem er und das mit ihm nicht mehr klarkommt. Ein kleiner Konflikt spult sich immer weiter und weiter auf, während Rambo in Guerilla-Taktik seine Gegner austrickst. Ein einziger Gegner stirbt – und selbst dieser Tod war nicht Rambos Absicht. Unverständlich also, dass sich Angelsoft genau diesen Film nicht als Vorlage für ihr Text-Adventure genommen hat. Stattdessen packten sie die eher übersichtliche Geschichte des Nachfolgers mit einem Bodycount von 69 Toten in das Spiel Rambo – First Blood Part 2 aus dem Jahre 1985.
James Bond 007 – Goldfinger (1987)
Raymond Benson nahm sich für sein zweites Agentenabenteuer keinen aktuellen Film zum Vorbild. Ob es daran lag, dass James Bond 1986 Kinopause einlegte? Mit dem Griff zurück in die 1960er Jahre scheint Benson jedenfalls eine gute Wahl getroffen zu haben. Denn Goldfinger gilt bis heute als einer der besten Streifen der Reihe und bietet mit Auric Goldfinger und seiner Verkörperung durch Gerd Fröbe auch einen bekannten Bösewicht. Natürlich erzählt auch dieses Adventure in groben Zügen die Handlung des Films nach. Und schon die ersten Zeilen zeigen, dass im Vergleich zu A View to a Kill auch mehr Detailliebe in die Texte geflossen ist.
Das Spiel überspringt allerdings einige äußerst bekannte Momente. Das Kartenspiel? Die vergoldete Frau? Die Golfpartie? Gibt es hier nicht. Stattdessen steigen wir direkt mit einer Verfolgungsjagd ein. Bond rast die Berge rauf und runter und nimmt die Kurven mit qualmenden Reifen. Neben ihm sitzt Tilly Masterson und hat nicht viel zur Lösung beizutragen. Zum Glück fällt Bond die Sonderausstattung des Aston Martin DB5 wieder ein und mit diversen Knöpfchen setzt er die Verfolger außer Gefecht.
Wie im Film ist der große Plan die Operation Grand Slam. Goldfinger möchte die Goldvorräte der Vereinigten Staaten vernichten. So heißt es jedenfalls im Text. Aber da wechselt der Name dieser großen Verschwörung auch gerne zwischen „Bluegrass“ und „Grand Slam“, wie auch der Ort der letzten großen Konfrontation mal eben verlegt wurde. Was aber bleibt, sind die bekannten Charaktere Oddjob, Pussy Galore und eben Goldfinger. Bei den Beschreibungen zeigt Benson, was er als Autor so kann:
If armored tanks could breed, they’d give birth to Oddjob. Three-hundred-and-fifty pounds of Korean muscle, he stands six-feet tall and a yard wide. His hands are lethal weapons. So are his feet, his elbows, his knees, and sometimes his head.
Indiana Jones in Revenge of the Ancients (1987)
1987 versucht sich Angelsoft dann an einer ganz neuen Variante der Versoftung. Mit Indiana Jones in Revenge of the Ancients nehmen sie den bekannten Filmhelden zwar als Protagonisten, stricken aber ein ganz neues Abenteuer für ihn. Geschrieben wurde das Spiel 1987, also zwei Jahre, bevor Indiana Jones und der letzte Kreuzzug ins Kino kam. Die Handlung setzt ziemlich direkt nach Jäger des verlorenen Schatzes ein und rettet mit Marion Ravenwood auch die weibliche Hauptrolle auf den Bildschirm.
Es ist ratsam, erst die Packungsrückseite zu lesen, bevor wir das Spiel starten. Denn sonst dauert es eine gewisse Weile, bis wir überhaupt ahnen, worum es geht. Dort heißt es: „Whatever it takes, Indiana Jones, you must stop the cruel Nazi, Plebinheim, and his SS thugs from unleashing the power of the Mazatec Power Key against the world.“ Das klingt nach einer typischen Aufgabe für Henry Jones, Jr. – wenn da nur nicht die Schlangen wären, die ebenfalls im Covertext erwähnt werden.
Dieses Spiel greift einen Klassiker aus A View to a Kill auf: Gehe ich zuerst nach Süden, ist das Spiel auch schon vorbei. Dieses Mal stürze ich durch eine Falltür auf einen Haufen Knochen, die von früheren Entdeckern stammen. Und auch der Rest der Reise ist wieder eine Aneinanderreihung unfairer Szenen. Zum Beispiel bietet das Startgebiet in der Tepozteco-Pyramide nur eine begrenzte Menge an Zügen, da die Luft sich hier recht schnell verbraucht. Clevere Abenteurer schreiben sich also jeden gelungenen Zug auf und schon nach 20 bis 30 Durchläufen sollten sie in der Lage sein, das Startgebiet lebend zu verlassen. Einige Stellen weiter gibt es die Chance, auf einen Trupp Nazis zu treffen. Dieses Zufallsereignis können wir immerhin durch das Laden einen früheren Speicherstand verhindern, ist aber natürlich einfach nur ärgerlich.
Der weitere Spielverlauf bringt alles mit, was ein rasantes Indy-Adventure so braucht. Motorräder, Labyrinthe, Naziuniformen, große Juwelen und natürlich die berühmte Peitsche. Den Kampf am Ende des Spiels würde ich sehr gerne auf der großen Leinwand sehen – oder wenigstens als LucasArts-Grafik-Adventure. Leider wird ihn in der vorliegenden Fassung praktisch niemand zu Gesicht bekommen. Viel zu schwer und zu frustrierend ist der Weg dort hin. Und auch wenn der Text dieses Adventures noch ein wenig ausführlicher als bei den anderen Spielen der Reihe ist: Hinweise enthält er praktisch keine.
Verkaufszahlen der Spiele habe ich leider nicht gefunden. Da die Firma nur wenige Jahre existiert hat und Lizenz auf Lizenz eingekauft wurde, waren die Zahlen wohl nicht gut genug. Nach dem Indy-Spiel schloss Angelsoft schon wieder seine Pforten. Einen besonderen Nachhall in den Spielerseelen haben die Spiele wohl auch nicht hinterlassen. So hat sich auf GOG.com bisher noch niemand dem einsamen Wunsch angeschlossen, doch bitte Indiana Jones in Revenge of the Ancients ins Programm aufzunehmen. Was bleibt, ist die Idee. Und die finde ich immer noch faszinierender als diese Domark-Spiele.
Ganz herzlich bedanken möchte ich mich bei Oliver Knagge vom Deutschen Videospielmuseum. Nicht nur hat er aus seiner Sammlung die Bilder der Spiele-Verpackungen beigesteuert. Nein: Er hat mich überhaupt erst darauf gebracht, dass es neben James Bond noch weitere Film-Vertextungen in dieser Reihe gibt und damit den Artikel mal eben doppelt so lang gemacht. Vielen Dank!
(Dieser Artikel erschien zuerst am 08. Oktober 2022 auf GamersGlobal)