Boeckham’s Football Manager – Einmal Gerd Schädlich sein

Boeckham’s Football Manager orientiert sich an alten Fußball-Managern der Amiga- und DOS-Ära und bringt einige neue Ideen mit.

Trainer im Fußballgeschäft haben’s richtig gut: Sie dürfen täglich in endlosen Statistiklisten wühlen und hoffen, dass sich irgendeine Nachkommastelle doch noch als Gold wert entpuppt. Und wehe, man holt vielleicht einen Spieler dazu, der die Chemie der ganzen Mannschaft zerstört – dann fliegt dir das ganze Konstrukt um die Ohren. Und klar: Spielphilosophie und jedes kleinste Trainingsdetail wollen ebenfalls eingestellt werden. Und wenn einem langweilig ist, klickt man sich vergnügt durch ausufernde Listen des Transfermarktes mit über 800.000 Spielern. Das ist alles so fesselnd, dass man an einem Abend Spielzeit nicht mal die Hälfte einer Saison schafft.

Spaß beiseite: Obwohl ich nicht der größte Fußballfan bin, habe ich in den 90ern sehr gerne Fußball-Manager gespielt. Das erste Anstoß natürlich, Ultimate Soccer Manager von Sierra und selbst das obskure BOONG!? – Die ultimative Fußballsimulation haben mich damals einige Wochen gefesselt. Diese Spiele boten ein schnelles Pacing; eine Saison konnte man locker an einem Abend spielen. Und trotzdem waren sie einigermaßen umfangreich, um für lange Zeit Spielspaß zu garantieren. Spätestens ab den 2000ern wurden Fußballmanager jedoch immer komplexer, verloren sich in immer mehr Klein-Klein. Auf die Spitze getrieben wurde das von Segas Football Manager-Reihe.

Der Lübecker Hobby-Programmierer Oliver Jeskulke ist offensichtlich genauso wenig ein Fan dieser Überkomplexität und entwickelt seit Jahren mit Boeckham’s Football Manager seine Interpretation eines Old-School-Fußball-Managers. Zuletzt wurde die Early-Access-Phase abgeschlossen und die erste stabile Version auf Steam veröffentlicht.

Wir fangen in der dritten Liga an!

Wenn ihr das Spiel startet, werdet ihr zunächst von einem Bildschirm begrüßt, in dem ihr euren virtuellen Manager erstellt. Neben dem Avatar gibt es eine zufällige Biografie, und ihr könnt auswählen, ob ihr in Deutschland oder England spielt. Wichtig ist der Schwierigkeitsgrad, der Auswirkungen auf die anfänglichen Skillpunkte, die Popularität, den Ruf, das Privatvermögen und den Würfelmodifikator im Spiel hat. Und die selbsterklärenden Skills sind natürlich ebenfalls wichtig.

Habt ihr alles zu eurer Zufriedenheit eingestellt, geht es weiter zum Bildschirm, in dem ihr euch bei einem Verein bewerben könnt. Richtig gelesen – ihr könnt euch anfangs nicht einfach bei jedem Verein einschreiben. Warum sollte der FC Bayern auch Interesse an einem unerfahrenen Trainer haben? Also scrollt ihr weit runter in die dritte Liga. Hmmm … Kein Chemnitz dabei? Na gut, dann beiße ich eben ins Gras und nehme Aue. Vielleicht trete ich ja in die Fußstapfen der Trainerlegende Gerd Schädlich, der den FC Erzgebirge Aue in den 2000ern von der Regionalliga bis in die 2. Bundesliga geführt hat?

Nach einem kleinen Bilder-Minispiel sind die Vertragsmodalitäten schnell erledigt, und ihr könnt direkt auf dem Hauptbildschirm des Spiels loslegen. Von hier aus habt ihr Zugang zu den Unterseiten: Stadion, Sponsoren, Spieler, Umfeld, Trainer, Nächstes Spiel und Statistiken. Die komplette Menüführung wird in Sekundenschnelle erfasst und führt euch genau dorthin, wo ihr hinwollt.

Im Stadion könnt ihr die Eintrittspreise festlegen, den Rasen pflegen und das Stadion mit überdachten und freien Plätzen ausbauen – oder freie Plätze in überdachte umbauen.

Bei den Sponsoren entscheidet ihr euch zu Beginn jeder Saison zwischen drei Angeboten von Hauptsponsoren – und könnt gegebenenfalls nachverhandeln. Ein hoher Verhandlungs-Skill kann hier natürlich weiterhelfen. Hauptsponsoren zahlen Siegprämien, wöchentliche Beiträge und können sich auch an Spielerverpflichtungen finanziell beteiligen. Es lohnt sich, genau hinzuschauen: Nicht immer sind die Verträge mit der höchsten wöchentlichen Direktauszahlung auch die lukrativsten! Wenn ihr etwa wisst, dass ihr in der nächsten Saison öfter auf dem Transfermarkt aktiv sein wollt, solltet ihr lieber einen Sponsor wählen, der sich stärker an Spielertransfers beteiligt. Zudem kehrt ihr im Laufe der Saison immer wieder zu diesem Bildschirm zurück, um Werbekunden für die Banden auszuwählen.

Das Spieler-Menü ist der Ort, an dem ihr eure Mannschaftsaufstellung festlegt. Die Taktik richtet sich dabei ganz automatisch nach eurer Aufstellung – stellt ihr etwa drei Verteidiger, vier Mittelfeldspiele und drei Stürmer auf, wählt das Spiel ein 3-4-3-System. Jeder Spieler hat einen Stärkewert – das war’s. Keine komplexen Gefühlswerte oder Ähnliches. Einmal pro Runde könnt ihr einem Spieler ein Einzeltraining zuweisen. Ansonsten entwickeln sich Spieler durch regelmäßige Einsätze stärker weiter als Spieler, die ständig auf der Bank sitzen.

Im Umfeld-Fenster könnt ihr mit viel Geld das Vereinsgelände ausbauen. Alles ist selbsterklärend: Fitnesscenter, Trainingsplatz und medizinische Abteilung beschleunigen die Entwicklung eurer Spieler; die Jugendakademie bringt neue Nachwuchstalente; bessere Zufahrtsstraßen und Parkplätze sorgen für mehr Besucher; Restaurant, Bierzelt, Fanshop und Snack-Bar steigern die Einnahmen.

Im Trainer-Fenster dreht sich alles um euren Charakter: Ihr könnt Workshops besuchen, um eure Skills zu steigern, Trainer-Ausbildungen absolvieren, mit eurem Verein nachverhandeln, kündigen, einen neuen Verein suchen – oder sogar Geld aus der Vereinskasse stehlen. Habt ihr genug Privatvermögen, könnt ihr in eine Rakete investieren. Noch spannender ist jedoch die Möglichkeit, einen eigenen Verein zu gründen.

Fast schon ein bisschen ZU minimalistisch

Der Gameplay-Loop sieht im Wesentlichen so aus, dass ihr in jeder Runde nach neuen Werbepartnern für die Banden schaut, das Team für den kommenden Gegner gegebenenfalls neu aufstellt und auf Zufallsereignisse reagiert. Hier und da probiert ihr aus, welche Stadionpreise gut funktionieren, baut ein wenig das Stadion und das Gelände aus, und ansonsten gibt es relativ wenig zu tun. Auf der einen Seite ist das gut, weil ihr innerhalb einer Stunde eine Saison durchspielen könnt – auf der anderen Seite ist es mir persönlich fast schon wieder zu wenig Einfluss.

Ich würde mir beispielsweise eine simple Möglichkeit wünschen, grobe Trainingsschwerpunkte zu setzen – etwa gezielt auf Torwart, Verteidigung, Mittelfeld oder Sturm. Denn nicht selten kommt es vor, dass Schlüsselspieler ausfallen, und es wäre schön, wenn man die Mannschaft auf solche Situationen etwas vorbereiten könnte.

Auch fehlt mir ein System, das man vielleicht „Fankultur“ nennen könnte. Es ist mir in meinem Spiel schon mehrmals vorgekommen, dass Fans verschiedene Spieler dauerhaft wegen „schlechter Leistung“ geradezu terrorisieren, sodass diese aufgrund psychischer Krankheit mehrere Wochen ausfallen. Oder dass Fans ständig Randale machen und ich irgendwelche Ausgleichszahlungen leisten muss. Mag sogar realistisch sein – aber genau deswegen würde ich mir einen Fankultur-Wert zwischen 0 und 100 wünschen, den man mit aktiver Fanarbeit beeinflussen könnte. Eine hohe Fankultur würde dann für deutlich weniger destruktive Vorfälle sorgen und stattdessen für mehr positiven Support.

Sehr schade ist auch, dass es bei den Spielen nichts zu lesen gibt. Anstoß hatte früher wundervolle Beschreibungstexte während eines Spiels, die etwas Stimmung gebracht haben. Das fehlt hier leider völlig, weswegen ich die Spiele selbst eher überspringe.

Und dann fehlt mir auch etwas das Drumherum. Mehr Zeitungsheadlines wären schön, kleine Interviews mit TV und Presse. Selbst als ich mit Aue in die zweite Liga und danach sogar in die erste Liga aufgestiegen bin, gab es keine Texte über die Freude der Fans, der Spieler, des Vorstands, über die Reaktion der Medien und so weiter. Sehr schade!

Die Zufallsereignisse wiederum machen richtig Spaß: Gut geschrieben, teilweise miteinander verknüpft – und manchmal erzählen sie sogar kleine Geschichten, die in Erinnerung bleiben. Etwa die kleine Geschichte um einen Hund, der im Vereinsgelände umherstreunert, den man bei sich aufnehmen kann – und dann sogar in manch späteren Text wieder vorkommt. Häufig werden aber auch ernste Themen behandelt, etwa Spieler die sich outen wollen, Drogenkonsum, bis hin zu Selbstmordgedanken – und es wurde auch schon Spieler in einer dunklen Gasse umgebracht. Diese Zufallsereignisse sind für mich das große Highlight des Spiels!

Fazit

Das klingt jetzt im zweiten Teil des Textes vielleicht etwas negativer, als es gemeint ist. Denn für lediglich 5 Euro auf Steam oder itch.io bekommt ihr einen kompetenten, altmodischen Fußballmanager, der sich hervorragend spielen lässt und sehr zugänglich aufgebaut ist. Die Zufallsereignisse bringen zudem schöne Geschichten ins Spiel. Was Boeckham’s Football Manager also macht, macht es gut – und wer Fußballspiele im Retro-Stil mag, wird hier auf seine Kosten kommen. Meine Kritik liegt eher darin, dass mir noch etwas mehr Drumherum fehlt, dass ich nicht zumindest eine grobe Richtung fürs Training vorgeben kann und dass es kein System für Fankultur gibt. Aber das kann sich ja auch alles noch ändern, da das Spiel weiterhin entwickelt wird. Nichtsdestotrotz gibt es eine klare Kaufempfehlung!

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Über Nischenliebhaber

Ostdeutsches Videothekenkind der 90er Jahre. Liebt Spiele- und Retrokultur ebenso wie subkulturelle Musik aus aller Herren Länder und lange Spaziergänge durch dunkle Wälder des Erzgebirges.

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