BFG (3): Träumen Androiden von elektrischen Schafen?

Science Fiction gab es schon immer in unterschiedlichen Ausprägungen. Doch so dystopisch, wie der Autor Philip K. Dick in seinen Romanen und Kurzgeschichten auf die Welt blickte, war die Gattung selten. Unterdrückung durch Religion, Staat, überlegene Wesen… Dick ließ selten ein gutes Haar an der Gesellschaft der Zukunft. So auch in dem Roman Träumen Androiden von elektrischen Schafen, der heutzutage unter seinem Originaltitel besser bekannt ist: Blade Runner.

Das Buch

Die Romane von Philip K. Dick haben in den letzten Jahrzehnten auch außerhalb der Leser-Blase an Bekanntheit gewonnen. Dank einiger Verfilmungen für Streaming-Dienste und die große Leinwand wie The Man in the High Castle oder Minority Report. Oder gar Total Recall, das eine eigene BFG- Folge verdient hätte.

Träumen Androiden von elektrischen Schafen erschien 1968 und wirft die ganz großen Fragen auf: Was macht einen Menschen aus? Wie wird die Menschheit überleben, wenn sie den Planeten erst einmal zugrunde gerichtet hat? Wie werden wir mit Technik umgehen, die sich ihrer selbst bewusst ist?

Die Handlung ist auf einer postnuklearen Erde des Jahres 1992 angesiedelt, auf der die meisten Tierarten ausgestorben sind. Die wenigen verbliebenen Tiere sind zum ultimativen Statussymbol geworden, während elektrische Nachbildungen den Verlust kaschieren sollen. Besitzer der elektrischen Tiere versuchen alles, um die Illusion eines echtes Tiers aufrecht zu erhalten. Wenn der Nachbar ein echtes Tier besitzt, darf man auf keine Fall zurückstehen. Mein Haus, mein Auto, meine Yacht – nur eben auf einer radioaktiv verseuchten Erde der Zukunft.

Rick Deckard besitzt ein elektrisches Schaf. Mehr ist von seinem Gehalt als Kopfgeldjäger in San Francisco nicht zu finanzieren. Entsprechend trostlos wirkt sein Lebensentwurf auf den ersten Seiten des Romans: Seine Frau und er leben nebeneinander her. Der Fernseher läuft Tag und Nacht, sogenannte Stimmungsorgeln verändern auf Wunsch das Gefühlsleben – und Deckards Frau hat neuerdings für sich entdeckt, dass auch bodenlose Verzweiflung ihren Reiz hat. Dazu die ständige Sorge, dass sein elektrisches Tier nicht authentisch genug grast. Ein kleines Leben.

Sein Geld verdient er mit der „Pensionierung“ humanoider Androiden – künstlicher Wesen, die äußerlich nicht von Menschen zu unterscheiden sind. Nur mit dem Voigt-Kampff-Test, der die Fähigkeit zur Empathie misst, soll diese Unterscheidung dennoch möglich bleiben. Doch im Verlauf des Romans gerät diese Ansicht ins Wanken. Die neuesten Nexus-6-Modelle zeigen Verhaltensweisen, die als menschlich gelten könnten. Insbesondere Rachael Rosen, eine Androidin der Rosen Association, stellt eine Herausforderung für Deckard dar. Ihre Handlungen scheinen Gefühle und Reflexionen zu enthalten – Eigenschaften, die laut offizieller Definition den Menschen vorbehalten sind. Wenn aber Maschinen Gefühle simulieren können – oder sie gar tatsächlich empfinden –, auf welcher Grundlage lässt sich Menschlichkeit dann noch exklusiv beanspruchen?

Parallel dazu führt die Figur des John Isidore eine alternative Perspektive ein. Isidore ist ein „Spezial“: genetisch geschädigt und gesellschaftlich an den Rand gedrängt. Sein Verhalten – auch und gerade gegenüber den Androiden – macht ihn im moralischen Sinne „menschlicher“ als viele der funktionierenden Mitglieder der Gesellschaft.

Auch die Religion und der Kult um die Figur des Wilbur Mercer spielen eine bedeutende Rolle. Diese Figur führte Philip K. Dick bereits 1964 in der Geschichte The Little Black Box ein. Er ersetzt in dieser Welt andere religiöse Figuren und bietet dank der sogenannten Empathie-Boxen seinen Gläubigen die Möglichkeit, seinen Leidesweg mitzuerleben. Während sie virtuell mit ihm wandern, entsteht durch dieses gemeinsame Erlebnis ein starkes Gefühl der Verbundenheit. Die Teilnehmer finden Trost im gemeinsamen Leiden. Dies ist umso bitterer, weil Mercer ein groß angelegter Betrug ist, eine erfundene Figur für eine Fernsehsendung. Dies enthüllt der Radio-Moderator Buster Friendly – übrigens ein Android.

Am Ende bleibt Deckard mit einer Reihe ungelöster Fragen zurück. Zwar ist seine Mission erfüllt, doch seine moralische Überlegenheit ist ihm abhanden gekommen. Er erkennt, dass der Unterschied zwischen Mensch und Maschine nicht einfach technisch oder biologisch festzumachen ist. Die Fähigkeit zu empfinden, zu zweifeln und sich mit dem eigenen Tun auseinanderzusetzen – das alles sind keine rein menschlichen Privilegien mehr. Trotz dieses düsteren Tons bietet das Ende des Romans einen kleinen Hoffnungsschimmer in Gestalt von Deckards Frau.

Träumen Androiden von elektrischen Schafen ist stilistisch ein wenig in die Jahre gekommen. Vielleicht auch nur in der deutschen Übersetzung, da ich das Original nicht kenne. Aber trotz kleinerer schlecht gealterter Passagen (Hellsehen ist eben schwierig als Science Fiction-Autor) hat mich die Geschichte auch beim Wiederlesen direkt wieder gepackt. Die Trostlosigkeit, die Deckard umgibt, ist aber nichts für unbeschwerte Lese-Nachmittage bei Regenwetter.

Der Film

41.768.494 Dollar. Das ist laut der Seite BoxOfficeMojo der Gesamtumsatz von Blade Runner. Regisseur Ridley Scott hatte natürlich das Pech, dass zwei Wochen zuvor E.T. – Der Außerirdische ins Kino kam und sich als DER Blockbuster des Jahres 1982 entpuppte. Im weiter unten folgenden Abschnitt „Das Spiel“ werden wir darüber reden, ob Blade Runner wenigstens in dieser Kategorie dem knuddeligen Langhals die Luft abschnürt. Aber erst einmal sprechen wir über den Film. Wobei sich auch dieses Unterfangen schwierig gestaltet, weil es ein ganzes Sammelsurium von Schnittfassungen gibt. An mindestens fünf oder sechs davon hat Scott auch selbst geschnippelt und zur Verwirrung beigetragen. Aber der Reihe nach:

Die Grundidee des Romans bleibt erhalten: In seiner dystopischen Vision eines verregneten, überbevölkerten Los Angeles im Jahr 2019 – das 1992 des Romans war wohl schon zu nahe – entwirft Blade Runner eine Welt, in der Realität und Künstlichkeit kaum noch unterscheidbar sind. Die Menschheit hat Replikanten – künstlich hergestellte Wesen – erschaffen, die von Menschen wie Rick Deckard gejagt und „in den Ruhestand versetzt“ werden, sobald sie eine Bedrohung darstellen. Aufgrund ihrer Stärke und Intelligenz dürfen diese Replikanten nicht mehr auf die Erde. Stattdessen sollen sie in den im All gegründeten Kolonien arbeiten.

Diese Replikanten, gebaut von der Tyrell Corporation, sind so menschenähnlich, dass sie nur mit einem Test identifiziert werden können, bei dem ihnen Fragen gestellt werden, die Emotionen auslösen sollen. Doch die neuen Modelle beginnen ihr Dasein bereits mit von Menschen entliehenen Erinnerungen. Und je länger sie leben, desto mehr beginnen sie, eigene Gefühle zu entwickeln – eine Tatsache, die die moralische Eindeutigkeit der Verfolgung zunehmend in Frage stellt. Im Laufe des Films trifft Deckard neben einer Gruppe rund um den Replikanten Roy Batty auf Rachel – eine Replikantin, die in ihm Zweifel an seinem eigenen Menschsein weckt. Diese Zweifel begleiten auch den Zuschauer. Mal mehr, mal weniger. Je nachdem, welche Fassung des Films er gerade anschaut. Woher soll er wissen, ob er nicht ebenfalls nur mit geliehenen Erinnerungen lebt?

Ein wesentlicher Bestandteil der heutigen Rezeption des Films sind die verschiedenen Schnittfassungen, von denen jede eine eigene Interpretation der Geschichte zulässt. Die erste veröffentlichte Kinofassung von 1982 war damals stark durch das Studio beeinflusst. Die Produzenten zwangen Ridley Scott dazu, den Film mit einem erklärenden Voice-Over von Harrison Ford auszustatten, das helfen sollte, die komplexe und fragmentarisch erzählte Geschichte für ein breites Publikum verständlicher zu machen. Auch wurde ein versöhnliches Happy End hinzugefügt, das im krassen Gegensatz zur düsteren Grundstimmung des Films stand. Diese Änderungen wurden gegen den Willen Scotts durchgesetzt und führten dazu, dass viele Kritiker dem Film damals mangelnde Tiefe und Inkonsistenz vorwarfen. Dennoch entwickelte sich selbst diese Version im Laufe der Jahre zu einem Kultfilm, nicht zuletzt wegen der Atmosphäre, der Musik von Vangelis und der unglaublichen visuellen Gestaltung.

Ein entscheidender Wendepunkt in der Rezeption von Blade Runner war die Veröffentlichung des sogenannten Director’s Cut im Jahr 1992. Diese Version entfernte das Voice-Over vollständig, strich das Happy End und fügte eine Traumsequenz mit einem Einhorn hinzu. Letztere ließ Raum für die Interpretation, dass auch Deckard selbst ein Replikant sein könnte – eine Frage, die bis heute diskutiert wird. Scott selbst hat sich vor einigen Jahren zu einer Aussage dazu verstiegen, aber die Erzählung lässt zumindest Interpretationsspielräume. Trotz seines Namens war der Director’s Cut – warum auch immer – nicht vollständig von Scott überwacht. Stattdessen erstellte Michael Arick diese Version und Scott gab zu Protokoll, dass diese Schnittfassung zwar näher an seiner ursprünglichen Vision sei, er aber nicht mit allem einverstanden wäre.

Dies führte – neben finanziellen Hoffnungen – im Jahr 2007 zu Blade Runner: The Final Cut. Dieses Mal von Ridley Scott selbst überarbeitet und daher bis heute die „definitive“ Fassung des Films. Neben restauriertem Bildmaterial und neu abgemischtem Ton enthält sie zusätzliche Effekte, Schnittänderungen sowie paar verlängerte Szenen.

Im Vergleich zur Kinofassung wirkt The Final Cut düsterer und tiefgründiger, wobei natürlich den größten Einfluss das bereits im Director’s Cut geänderte Ende hat. Insgesamt existieren mindestens sieben verschiedene Schnittfassungen von Blade Runner, darunter auch ein Workprint, TV-Fassungen und internationale Versionen mit kleineren Änderungen.

Dass Blade Runner überhaupt vollendet wurde, grenzt aus heutiger Sicht beinahe an ein Wunder, betrachtet man die chaotischen Umstände während der Dreharbeiten. Auf diversen Heim-Veröffentlichungen gibt es die hervorragende Dokumentation Dangerous Days, die Einblicke dazu gibt. Sagen wir: Zwischen Ridley Scott, dem Studio und der Crew gab es Spannungen. Hochspannungen.

Der Brite Scott stieß mit seiner arbeitsintensiven, detailverliebten Arbeitsweise auf Widerstand bei der überwiegend amerikanischen Filmcrew. Auch mit Harrison Ford kam es wiederholt zu Meinungsverschiedenheiten. 2006 wurde der Regisseur gefragt, mit wem die Arbeit in all seinen Filmen am schwierigsten war:

Ganz klar Harrison… Er wird mir das nachsehen, weil ich mich jetzt gut mit ihm verstehe. Jetzt ist er ein charmanter Kerl. Aber er weiß viele Dinge, das war ein Problem. Als wir zusammenarbeiteten, war es mein erster großer Film und ich war der Neue. Aber wir haben einen guten Film gemacht.

Umgekehrt fühlte sich Ford vom Regisseur missverstanden und kritisierte noch Jahrzehnte später die Voice-Over-Passagen:

Was mir beim Ansehen von Blade Runner mehr als alles andere in Erinnerung bleibt, sind nicht die 50 Drehtage im Regen, sondern der Voice-Over-Kommentar … Ich war immer noch gezwungen, für diese Clowns zu arbeiten, die einen schlechten Voice-Over-Kommentar nach dem anderen schrieben.

Harrison Ford 2006

Der Dreh selbst war geprägt von langen Nachtdrehs, Dauerregen und technischen Schwierigkeiten. Die Straßenszenen des futuristischen Los Angeles wurden auf dem Studiogelände von Warner Bros. in Burbank gedreht. Neonlichter und Müllberge sorgten unter Neonbeleuchtung für den Look einer überbevölkerten sterbenden Stadt. Diese Film-Noir-Ästhetik zog sich auch durch die visuellen Effekte, die mit analogen Mitteln umgesetzt werden mussten. eine enorme Herausforderung, gerade bei Szenen mit Modellen, Lichteffekten oder der Darstellung futuristischer Architektur.

Budget-Überschreitungen und die schlechte Arbeitsstimmung sorgten schließlich dafür, dass, dass das Studio Ridley Scott kurz vor Ende der Dreharbeiten teilweise entmachtete. Testvorführungen hatten die Verantwortlichen nervös werden lassen: Das Publikum hatte teilweise Schwierigkeiten damit, der Handlung zu folgen. Das Studio reagierte darauf natürlich mit drastischen Änderungen: Die berühmt-berüchtigte Voice-Over-Sequenzen wurden (gegen den ausdrücklichen Willen von Scott und Ford) eingefügt und das Ende erweitert, um der Geschichte einen positiven Abschluss zu geben.

Man kann heutzutage zur Kinofassung stehen, wie man will. Letztlich ist es diese Version, mit der viele heutige Fans erstmals mit der Geschichte in Berührung gekommen sind. Dass spätere Schnittfassungen einige Fehler korrigieren (und andere absichtlich im Film lassen), ist natürlich ein schöner Bonus. Zum Glück konnte sich Ridley Scott beherrschen und fügte (meiner Meinung nach) keine Verschlimmbesserungen ein. Andere Science-Fiction-Filme hatten da weniger Glück.

Philip K. Dick, Autor der Vorlage Do Androids Dream of Electric Sheep?, hatte ein zwiegespaltenes Verhältnis zur Verfilmung. Ursprünglich war er skeptisch gegenüber dem Projekt, insbesondere was die frühen Drehbuchfassungen betraf. In Interviews äußerte er Zweifel bis Entsetzen:

Ich war ein scharfer Kritiker von Hampton Franchers ursprünglichem Drehbuch und habe das auch ganz offen gesagt. […] Denn ich war wirklich wütend und angewidert. Fanchers Drehbuch hatte aber auch gute Seiten. Es ist wie die Geschichte der alten Dame, die einen Ring zum Juwelier bringt, um den Stein neu fassen zu lassen. Und der Juwelier kratzt die Patina von vielen Jahren ab und poliert ihn, und sie sagt: „Meine Güte! Die Patina war das, was ich an dem Ring so sehr geliebt habe!“ Aber okay: Sie hatten mein Buch von allen Feinheiten und seiner Bedeutung befreit. Die Bedeutung war verschwunden. Es war zu einem Kampf zwischen Androiden und einem Kopfgeldjäger geworden.

Ich hatte damals diese Vision im Kopf, dass ich dort hinaufgehen und Ridley Scott vorgestellt werden würde, und Harrison Ford, der die Hauptrolle spielt, und ich wäre so geblendet, dass ich wie Mr. Toad wäre, der zum ersten Mal ein Auto sieht. Meine Augen wären groß wie Untertassen und ich würde einfach nur da stehen und völlig fasziniert sein. Dann würde ich zusehen, wie eine Szene gedreht wird. Und Harrison Ford würde sagen: „Senken Sie die Blast-Pistole, oder Sie sind ein toter Androide!“ Und ich würde wie eine Gazelle über das Spezialeffekt-Set springen, ihn am Hals packen und ihn gegen die Wand schlagen. Sie müssten herbeieilen, eine Decke über mich werfen und die Sicherheitsleute rufen, damit sie Thorazin bringen. Und ich würde schreien: „Sie haben mein Buch zerstört!“

Philip K. Dick (Rod Serling’s The Twilight Zone Magazine, Vol. 2, No. 3, June 1982)

Erst eine spätere Drehbuchfassung und vor allem erste Ausschnitte des Films änderten Dicks Meinung. Die neue Drehbuchfassung, bei der David Peoples die Geschichte überarbeitete, traf den richtigen Tonfall. Laut Dick ergänzten sich nun der Film und das Buch:

Nachdem ich das Drehbuch gelesen hatte, holte ich den Roman heraus und blätterte ihn durch. Die beiden Werke ergänzen sich gegenseitig, sodass jemand, der mit dem Roman begonnen hat, den Film genießen wird, und jemand, der mit dem Film begonnen hat, den Roman genießen wird.

Philip K. Dick (Rod Serling’s The Twilight Zone Magazine, Vol. 2, No. 3, June 1982)

Besonders beeindruckt war der Autor von der visuellen Gestaltung – auch wenn er immer wieder subtil durchblicken ließ, dass Ridley Scott als visueller Mensch kein besonders guter Geschichtenerzähler sei:

Ich habe in den KNBC-TV-Nachrichten einen Ausschnitt aus Douglas Trumbulls Spezialeffekten für Blade Runner gesehen. Ich habe ihn sofort erkannt. Es war meine eigene Innenwelt. Sie haben sie perfekt eingefangen.

Philip K. Dick (Rod Serling’s The Twilight Zone Magazine, Vol. 2, No. 3, June 1982)

Dick verstarb allerdings, bevor der Film in die Kinos kam. In dem hier oft zitierten Interview erzählte er noch, dass er sich für die Filmpremiere wohl einen Smoking leihen müsse. Er scheint also seinen Frieden mit der Verfilmung geschlossen zu haben. Auch, weil er durchsetzte, dass sein Roman unverändert mit einigen Filmbilder-Seiten neu aufgelegt wurde. Das Angebot, für ungefähr 400.000 Dollar den Roman zum Film zu schreiben, hatte er abgelehnt:

Für mich wäre es künstlerisch gesehen wahrscheinlich katastrophal gewesen, mich selbst zu sabotieren und diese billige Romanadaption von Blade Runner zu schreiben – ein komplett kommerzialisiertes Werk, das sich an Zwölfjährige richtet. Finanziell gesehen hätte ich mir damit laut meinem Agenten buchstäblich ein Leben lang ausgesorgt. Ich glaube, mein Agent rechnet nicht damit, dass ich noch lange leben werde.

Philip K. Dick (Rod Serling’s The Twilight Zone Magazine, Vol. 2, No. 3, June 1982)

Leider hatte der Agent hier unbeabsichtigt recht: Philip K. Dick starb am 2. März 1982. Einen Roman zum Film gab es dann doch auch noch: Der Autor Les Martin veröffentlichte 1982 Blade Runner: A Story of the Future, dessen Geschichte auf dem Drehbuch basierte. Ab 1995 veröffentlichte K.W. Jeter drei Romane, die Deckards Geschichte weiter erzählten: The Edge of Human, Replicant Night und Eye and Talon.

Die Beziehung zwischen Autor und Regisseur blieb trotz der Script-Verbesserungen von einem gewissen Spannungsverhältnis geprägt: Dick, der die Essenz seines Werkes im Visuellen wiedererkannte, aber nicht in der Handlung, und Scott, der sich von der literarischen Vorlage eher inspirieren ließ als dass er ihr folgen wollte. So flogen praktisch alle religiösen Elemente aus der Handlung; ebenso die große Bedeutung von künstlichen und echten Tieren. Diese Diskrepanz zweier Künstler dürfte aber ein Hauptgrund dafür sein, dass Blade Runner ein eigenständige Kunstwerk geworden ist.

Einen wunderbaren Einblick in die Entstehungsgeschichte bietet der Titel The Illustrated Blade Runner, der auf der Webseite cinephiliabeyond.org abrufbereit ist. Enthalten ist das Drehbuch von Hampton Fancher und David Peoples samt einer unglaublichen Menge an Illustrationen.

Die Spiele

Trotz des vergleichsweise bescheidenen Einspielergebnisses bekam auch Blade Runner eine 8-Bit-Umsetzung. Allerdings ist es keine Roman- oder gar Film-Versoftung. Stattdessen prangt auf dem Cover „A Video Game Interpretation of the Film Score by Vangelis“. Vermutlich waren die Rechte an der Musik günstiger als alle anderen. Das führt dazu, dass im Spiel gleich 24 unterschiedlich starke Replidroiden unterwegs sind – und nicht sechs Replikanten der neuesten Bauart. Außerdem verkörpert der Spieler keinen Blade Runner, sondern ist laut Beschreibung schlicht ein Kopfgeldjäger.

Das Spiel gliedert sich in zwei Phasen: Auf einer Karte sucht der Kopfgeldjäger mit seinem fliegenden Polizeiauto die flüchtigen Droiden. Fährt er mit seinem Symbol über das Droiden-Symbol, wird ihm der Level des Droiden und damit der Schwierigkeitsgrad angezeigt. Dann kann er entscheiden, ob er landet und mit der Jagd beginnt. Diese Karte wirkt stark Pac-Man-inspiert – was bestimmt daran liegt, dass Vangelis der LP keinen Stadtplan beigelegt hatte.

Die Jagdsequenz könnte aufregend sein, wenn sie denn optisch ansprechender und insgesamt abwechslungsreicher wäre: Nach der Landung des Fahrzeugs läuft unsere Figur von links nach rechts, weicht Autos und Fußgängern aus und erschießt irgendwann hoffentlich den Droiden. Falls er einen Zivilisten erwischt, gibt es Punkte- und damit Geldabzug. Und es ist recht wahrscheinlich, dass er einen Zivilisten erwischt. Denn zwischen all den gleichen weißen Figuren in der Hektik zum richtigen Zeitpunkt zu schießen, ist schwierig genug. Mal abgesehen davon, dass außer der Musik an diesem Spiel nichts motiviert. Wie es in einer zeitgenössischen Besprechung heißt:

Terrific music. Shame about the game. That just about sums up CRL’s brave attempt to turn the classic Blade Runner movie into a computer game.

Computer + Video Games Februar 1986

Zwölf Jahre später versuchten die Westwood Studios erneut, den Film auf heimische Monitore zu bringen. Im Gegensatz zum ersten Spiel wählten sie das Adventure-Genre als Grundgerüst.

Im Spiel, das einfach nur Blade Runner heißt, übernimmt man die Rolle von Ray McCoy, der im Los Angeles des Jahres 2019 vier entflohene Replikanten aufspüren und „in Ruhestand versetzen“ soll – wie auch im Film eine nettere Umschreibung für eine Exekution. Auch in anderen Bereichen greift das Spiel auf Elemente des Films zurück: McCoy führt Voight-Kampff-Tests durch, fliegfährt mit seinem Spinner zwischen den Schauplätzen hin und her und verwendet die Esper-Maschine, um Bilder zu analysieren. Aber Westwood geht über die Vorlage hinaus und bringt ein zentrales Motiv aus dem Roman ins Spiel: Der initiale Fall des Spiels behandelt die Ermordung echter Tiere.

Statt klassischer Inventar-Rätsel folgt das Spiel einer investigativen Logik: Man sammelt Beweise, führt Gespräche, analysiert Fotos und plant seine nächsten Schritte mithilfe des digitalen Datenarchivs KIA. Dort sind sämtliche Aussagen, Gegenstände und Bilder jederzeit abrufbar. Dies ist auch bitter notwendig, da sich grundlegende Dinge bei jedem Neustart des Spiels verändern. Wer Replikant ist und wer ein Mensch, wird immer wieder neu ausgewürfelt. Das sorgt nicht nur für hohen Wiederspielwert sondern auch für eine beklemmende Stimmung. So ist auch der Status von McCoy wie schon bei Deckard unklar.

Im Laufe der Handlung trifft McCoy auf einige Figuren aus dem Film. Zum größten Teil gelang es Westwood sogar, für die Original-Vertonung die ursprünglichen Schauspieler zu gewinnen. Auch einige Schauplätze dürften Fans der Vorlage bekannt vorkommen – und selbst Deckard hat einen kleinen (Gag-)Auftritt, wenn auch nur schriftlich. Trotz dieser Anlehnung an die Filmhandlung bleibt das Spiel sehr selbstständig. Blade Runner schafft das Kunststück, in der Welt des Films zu spielen und gleichzeitig eine eigene Geschichte zu erzählen. Diese führt dank der Zufalls-Elemente zu einem Dutzend unterschiedlicher Enden.

Technisch ambitioniert setzt das Spiel auf Voxel-Grafiken. Während die Charaktere heutzutage etwas pixelig wirken, sind die Umgebungen samt ihrer an den Film angelehnten Lichtspielereien immer noch ein Hingucker. Die musikalische Untermalung stammt zwar nicht von Vangelis, lehnt sich allerdings an dessen Keyboard-Klangwelten an und lässt den Spieler im vertrauten Dauerregen der Großstadt versinken.

2022 brachten die Nightdive Studios unter dem Namen Blade Runner: Enhanced Edition eine leicht aufpolierte Neuauflage des Spiels heraus. Als der Titel erschien, waren die Wertungen verhalten bis ablehnend. Während das Studio mit einigen Patches die meisten Fehler ausbügelte, blieb das grundlegende Problem bestehen: „Dank“ der verloren gegangen Originaldateien der Westwood Studios konnte Nightdive nur wenig in das Programm selbst eingreifen und liefert bis auf höhere Auflösungen und verbesserte Frameraten. Ein besonders großer Mehrwert ist also auch heute noch nicht gegeben. Ist an und für sich aber auch egal, da auf GoG Käufer der Enhanced-Version das originale Blade-Runner-Spiel noch obendrauf bekommen. Lustigerweise ist diese Enhanced-Fassung häufiger im Angebot als Blade Runner alleine – also zugreifen!

2018 brachte die Firma Seismic Games mit Blade Runner: Revelations noch ein VR-Spiel für die Google Daydream auf den Markt. Mangels Hardware kann ich leider keinen eigenen Eindruck zum Spiel gewinnen – außerdem ist der Titel nicht mehr im Google Play Store gelistet, da es nie für andere Plattformen bzw. Headsets umgesetzt wurde.

Inhaltlich klingt das Spiel interessant: Im Los Angeles des Jahres 2023 erhält Blade Runner Harper den Auftrag, einen abtrünnigen Nexus-6-Replikanten namens Eve in Chinatown aufzuspüren. Nach einem Hinterhalt entdeckt er Hinweise auf ein geheimes Projekt namens „Night Owl“ und auf den verschwundenen Tyrell-Mitbegründer Nakayama. In dessen zerstörter Wohnung findet Harper Beweise für ein tödliches Virus gegen Replikanten. Während interne Ermittlungen auf einen Maulwurf in der Polizei hindeuten, spitzt sich die Lage zu: Eve und ihre Mitstreiter entführen Nakayama, der kurz darauf stirbt. Als Harper selbst unter Verdacht gerät, erhält er eine Nachricht von Eve. Sie offenbart, dass Harper ein Replikant sei und fordert ihn auf, die echte Lilith Tyrell zu töten, die durch eine Replikantin ersetzt wurde.

Doch heutzutage können wir das Spiel nicht mehr selbst erleben. Immerhin gibt es einen kompletten Walkthrough auf Youtube:

Während das Original-Buch nicht fortgesetzt wurde, kamen 2017 der Film Blade Runner 2049 und dazu passend das VR-Spiel Blade Runner 2049: Memory Lab auf den Markt. Aber ohne Buch kein BFG. So sind die Regeln.

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Über Jürgen

Geschichts- und Musik-Liebhaber mit einer Schwäche für viel zu lange Computerspiele. Der Werdegang CPC - Pause - PC und Konsolen sorgt dafür, dass ich noch so viele schöne alten Perlen entdecken darf.

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10 Comments on “BFG (3): Träumen Androiden von elektrischen Schafen?”

  1. Von dem VR Spiel höre ich grade zum ersten Mal – aber auch von der Google Daydream. Das muss ja echt massiv ins Wasser gefallen sein, weil ich eigentlich meinte, zumindest relativ gut informiert zu sein.
    Leider funktioniert das Spiel auch nicht mal auf der Oculus, weil es die Daydream Controller zwingend braucht und keine alternative Eingabemöglichkeit erlaubt.

  2. Kleiner Film und Kurzgeschichtentip für unseren Jürgen: Screamers – Tödliche Schreie ist ein Film, der um die Jahrtausendwende entstand und auf Phillip K. Dicks Geschichte Second Variety basiert. Ob es dazu auch ein Game gibt weis ich jetzt nicht. Aber Film und Geschichte sind wirklich toll erzählt und inszeniert, auf jeden Fall einen Blick wert.

    1. Es gibt noch ein paar mehr „Mainstream“-Verfilmungen von Dick: „Paycheck“ ist eigentlich ganz bekannt und „Der Plan“ (nach Dicks „Adjustment Team“) ist zwar mit Matt Damon prominent besetzt, aber eher unbekannt und war wohl kein grosser Erfolg. Ich fand ihn ganz lustig.
      „Next“ (mit Nicolas Cage) basiert auch auf Dick. Gibt noch einige weitere … und ist noch mehr in der Pipeline.
      Und „Screamers: The Hunting“ ist noch eine Fortsetzung, hat aber nix mehr mit PKD zu tun.

  3. Vielen Dank für diesen Rückblick – ich bin schon gespannt auf „Blade Runner 2033: Labyrinth“, das bei Annapurna Interactive veröffentlicht werden soll. Auch wenn das Erscheinen derzeit alles andere als gesichert ist.

    @Medienspuernase: Screamers fand ich damals ebenfalls recht gelungen.

  4. Na, dann bin ich ja mal gespannt. Hab mit Blade Runner bisher nichts am Hut gehabt. Hab aber als Adventure Lover mir gerade mal die besprochene Enhanced Version gekauft. Mal schauen ob es mir gefällt. 🙂

    1. Viel Spaß damit. Natürlich wirken die Grafiken heutzutage nicht mehr so unglaublich, wie sie es damals getan haben. Aber vor allem die Lichtspielereien sind immer noch phantastisch. Und auf meinem heutigen Rechner wird das Spiel auch nicht mehr langsamer, wenn sich die Beleuchtung ändert 😀

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