Der Beitrag „Spiele-Check: Beyond The Edge Of Owslgard – LucasArts-Sierra-Lovechild“ erschien zuerst am 23.02.2022 auf GamersGlobal als User-Inhalt unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 3.0 DE DEED.
Die Point-and-Click-Magie der 1990er Jahre kann selbst heute, in besonderen Momenten, auf unseren Bildschirmen für ein wohliges Gefühl sorgen. Meist sind dafür kleine Indie-Perlen verantwortlich, die versuchen, die vielerorts erkaltete Flamme dieser längst vergangenen Tage erneut zu entfachen. Nicht wenige Entwickler werden durch die märchenhaften Abenteuer der King’s Quest-Reihe oder durch die meisterhaften Lucas Arts-Klassiker zur Erschaffung ihrer eigenen Werke inspiriert. Und manche von ihnen streben sogar danach, eine Mischung aus den besten Zutaten beider Welten zu kreieren.
Der deutsche Indie-Entwickler Hans „WatchDaToast“ Klöpfl ist einer dieser kreativen Köpfe, die es geschafft haben, den Zauber von damals in ein digitales Spielerlebnis zu gießen. Seine ersten Gehversuche als gerade einmal zwölfjähriger Hobby-Programmierer mit dem nie veröffentlichten King’s Cat haben ihn 2005 zum Adventure Game Studio gebracht. Nach einem jahrelangen Entwicklungs- und Lernprozess, an dessen vorläufigem Höhepunkt im April 2022 eine erfolgreiche Kickstarter-Kampagne stand, hat er der Adventure-Welt nun Beyond the Edge of Owlsgard geschenkt. Doch kann das Retro-Pixel-Abenteuer wirklich mit seinen großen Vorbildern mithalten?
In einem Land nach unserer Zeit
Die Geschichte führt euch in das märchenhafte kleine Königreich Velehill, der Heimat des jungen Rehbocks Finn. Nach der Rückkehr von einem seiner Abenteuer muss er mit Entsetzen feststellen, dass sein Elternhaus zerstört wurde und seine Eltern verschwunden sind. Ab hier dürft ihr in die Hufe des mutigen Wildtiers schlüpfen und diesen Vorfall untersuchen. Schnell wird euch klar, dass die Zerstörung eures Elternhauses kein Einzelfall ist, es sind sogar große Teile des Waldes verschwunden. Die anderen tierischen Bewohner des Königreichs haben dafür längst die „bösen Wölfe“ als Übeltäter ausgemacht, doch ihr vermutet, dass mehr dahinterstecken muss.
Im Laufe eurer Untersuchungen stellt ihr fest, dass riesige Maschinen in das Land eingefallen sind und drohen, eure Welt zu zerstören. Mit Hilfe eurer Begleiterin Gwen, der Eule, begebt ihr euch auf die Reise nach Owlsgard und darüber hinaus, um ein uraltes Geheimnis zu lüften und eure Welt vor den Maschinen zu retten. Dabei werden Feinde zu Verbündeten und Realitäten auf den Kopf gestellt, bis alles auf ein dramatisches Ende zuläuft…
Ein moderner Klassiker
Ihr steuert Finn per Mausklick über ein hübsch gestaltetes 9-Verben-Interface, das an SCUMM-Spiele wie Indiana Jones and the Fate of Atlantis erinnert. Durch die Vielzahl der Interaktionsmöglichkeiten steigt die Komplexität gegenüber der mittlerweile häufig verwendeten Zwei-Tasten-Steuerung.
Die gelungene Pixeloptik (inklusive Zwischensequenzen) wirkt wie eine 90er-Umsetzung eines Zeichentrickfilms in der Art von Don Bluth mit anthropomorphen Tieren als Hauptdarstellern, gemischt mit dem Grafikstil späterer King’s Quest Episoden. Innerhalb der lebendig wirkenden Spielwelt werdet ihr überall liebevolle Details und Animationen finden. Die musikalische Untermalung und die Soundeffekte tragen in großem Maße zur Stimmung bei, und sogar über eine deutsche Sprachausgabe könnt ihr euch freuen. Diese empfand ich als gelungen, auch wenn mir die englischen Sprecher noch ein wenig besser gefielen.
Die Geschichte erinnerte mich an Erben der Erde, wurde aber allgemein vom Thema „Tiere gegen Maschinen“ und vielerlei dystopischer Science Fiction inspiriert. Unabhängig davon fühlt sich Finns Welt wie ein neues, kleines Fantasy-Reich voller vermenschlichter Tiere an.
Knackige Rätsel mit tödlichen Gefahren
Das Rätseldesign kann ich wirklich nur ausdrücklich loben. Die Anforderungen, die das Spiel dabei an euch stellt, sind durchaus komplex, und manchmal werdet ihr vielleicht auch nicht weiter wissen. Aber mit Geduld und mehrmaligem Überlegen werdet ihr jedes Rätsel lösen können. Durch die Art der Steuerung wird es natürlich noch etwas komplexer, so bin ich am Anfang kurz gescheitert, weil ich versucht habe, etwas zu „benutzen“, aber nicht daran gedacht habe, es zu „schieben“. Das Spiel kommt zwar ohne Hint-System aus, zeigt euch aber zumindest immer eure nächsten Aufgaben an.
Falls ihr wenig Lust auf Pixelhunting oder Probleme mit zeitkritischen Rätseln habt, würde ich euch empfehlen, zu Beginn anstelle des „Classic Mode“ den „Modern Mode“ zu wählen. Dadurch blitzen kleine, aber wichtige Gegenstände auf, und ihr habt mehr Zeit, um Timing-Rätsel zu lösen. Ein schöner Kompromiss, wie ich finde. Sierra-Fans freuen sich vielleicht darüber, dass viele gefährliche Situationen zum Ableben des Helden führen können. Weniger sadistisch / masochistisch angehauchte Spieler freuen sich sicherlich über den vorher vom Spiel angelegten automatischen Spielstand. Speichern könnt ihr im Übrigen nicht nur wann ihr wollt, sondern auch so oft ihr wollt.
Fazit
Wenn ihr eine Kombination aus LucasArts-Klassiker und Sierra-Märchen mit 90er-Pixel-Optik, stimmungsvollem Soundtrack und professioneller deutscher und englischer Vertonung spielen möchtet, dann führt kein Weg an Beyond The Edge of Owlsgard vorbei. Es ist wie das Kind einer verbotenen Liebe zwischen LucasArts und Sierra, das bisher immer versteckt und nun endlich befreit wurde. Hier warten auf euch in etwa acht Stunden Point-and-Click-Spaß auf sehr starkem Niveau mit gelungenen, nicht allzu leichten Rätseln.
- Klassisches Point-and-Click-Adventure für Linux und PC
- Einzelspieler
- Für Fortgeschrittene bis Profis
- Preis: 24,50 Euro bei Steam und GOG
- In einem Satz: Fabelhaftes Comic-Abenteuer in einer märchenhaften Welt