Stell dir vor, du sitzt in einem Boot auf einem Fluss. Papiertaxis und der Nirgendwo-Mann beobachten dich dabei. Nimm den Bus Nummer neun zur Penny Lane.
1985 brachte die noch junge Firma Number 9 Software das Erstlingswerk Ihres einzigen Autoren Garry Marsh auf den Markt. Es hätte der Beginn einer großartigen Karriere werden können, doch weder Autor noch Firma schufen ein zweites Spiel. Der Erfolg von Beatle Quest blieb überschaubar: 500 Exemplare wurden verkauft – zugegeben: Mehr Exemplare hatte Marsh auch gar nicht produziert – und er ist mit diesen Verkäufen durchaus zufrieden. Allerdings hätte bei der Größe des Spiele-Themas doch eigentlich ein Hit entstehen müssen. Schließlich ging es hier um die Beatles.
Beatle Quest ist ein klassisches Textadventure mit einigen wenigen und einfach gehaltenen Grafiken. Alleinstellungsmerkmal des Spiels sind die Texte, die sich aus den Beatles-Lyrics speisen und mal mehr, mal weniger sinnvoll im Spiel verbaut sind. An manchen Stellen scheint es eine “normale” Geschichte zu sein, dann wieder scheint der Spieler in einer Traumwelt zu verschwinden. Mit wenigen Zeilen entwirft Marsh seltsame Welten und alltägliche Straßen. Die Speicher-Beschränkungen des Tape-Datenträgers und des Computers – C64 und ZX Spektrum – schränken Marsh hier leider empfindlich ein. Mit mehr Text wäre hier tatsächlich viel mehr möglich gewesen.
A beginning
Das Spiel hat zwei Ursprünge: Zum einen hat Garry Marsh bereits 1973 an einem Brettspiel gearbeitet, das auf dem Doppelalbum “The Beatles” – auch bekannt als das Weiße Album – basieren sollte. Dazu schreibt er in einem Interview mit John Aycock von der University of Calgary: “I had wanted to write a play based on the Beatles double White album (1968), back in 1973, and had a few ideas for characters, etc. I drew it out, mapped it, and then added lyrical clues as I went along. Testing as I went.”
Leider schreibt er nichts darüber, warum er diesen Plan nicht mehr weiter verfolgte. Tatsache ist jedenfalls, dass er erst viel später wieder an den Entwurf für ein Beatles-Spiel ging. Die Idee kam ihm, nachdem er das 1982er Textadventure The Hobbit aus dem Hause Melbourne House gespielt hatte. So etwas wollte er auch machen! Seine Programmierkenntnisse beschränkten sich auf BASIC-Grundkenntnisse, aber über selbst gespielte Spiele wie Bored of the Rings war er auf das Adventure-Programmier-Programm The Quill aufmerksam geworden. Er las ein paar Tests und schaute sich auch Konkurrenz-Programme an, doch die einfache Bedienung von The Quill gab den Ausschlag.
Marsh schrieb die beiden Fassungen des Spiels (für den C64 und den ZX Spectrum) selbst. Dank The Quil gab es dabei keine größeren Schwierigkeiten. Er selbst erinnert sich daran, dass einzig die Spektrum-Bilder Probleme bereitet haben, führt das allerdings nicht weiter aus. Nachdem auch diese Komplikationen überwunden waren, erschienen beide Fassungen im Juni 1985. Sit back and let the evening go.
She was just seventeen
Das Spiel beginnt in einem heruntergekommenen kleinen Apartment. Geschirr stapelt sich im Spülbecken, die geblümte Tapete blättert ab, die nackte Glühbirne flackert vor sich hin. Das Jahr: Ungefähr 1969. Auf dem Bett im Raum liegt eine Person. So, und jetzt sind wir dran. Denn mit einer wie auch immer gearteten Einführung per Handbuch oder wenigstens auf der Rückseite der Cassetten-Verpackung hält sich Beatle Quest erst gar nicht auf. Diese Welt müssen wir schon ganz alleine erkunden. Und da gibt es so einiges zu entdecken. Zum Beispiel finden wir direkt im ersten Raum im Telefonhörer versteckt einen “unschuldig aussehenden Zuckerklumpen”. Brown Sugar vielleicht? Ach ne, das waren die Stones. Ja ja, die 60er… Hier gibt es auch einen ersten Vorgeschmack auf die immer wieder auftauchenden Beatles-Texte: Das Mädchen, das schlafend auf dem Bett liegt, wird mit Zeilen aus “I saw her standing there” beschrieben. You know what I mean.
Im Badezimmer finden wir noch einen silbernen Löffel, wir essen den Zuckerklumpen und dann… zerfließt die Szenerie. Picture yourself in a boat on a river… Die Zeilen aus “Lucy in the Sky with Diamonds” weisen uns den Weg: Das hier ist nicht mehr unsere bekannte Welt. Das Wort “Szenerie” aus dem Vorgänger-Satz bezieht sich übrigens hauptsächlich auf die Texte. Bildern begegnen wir nur selten, was bei ihrer schlichten Ausarbeitung aber auch in Ordnung geht. Nach einigen Zügen meldet sich das Programm zusätzlich zu den Beschreibungen mit der Meldung “You have the Hippy Hippy Shakes, you need some natural E”. Ich habe nachgeschlagen, was “Natural E” sein mag und finde heutzutage Pferdefutter-Ergänzungsmittel und hochkonzentriertes Vitamin E. Was auch immer es 1969 oder 1985 bedeutet haben mag: Im Marshmallow Pie scheint das Zeug drin zu sein. Isst meine Figur diese Leckerei, ist die Reaktion “Hea…vy, really hea…vy, man. Mmm.” Beatle Quest erlaubt nicht allzu viele Züge, bis die Hippy Hippy Shakes den Spieler hinwegraffen. Ständige Neustarts samt Optimierung der Lauf- und Aktions-Wege ist hier leider Pflicht.
Zusätzlich zu diesem Design-Schnitzer wird der geneigte Spieler, der sich mit dem Beatles-Werk nur bedingt auskennt, weitere Schwierigkeiten bekommen. Wer kommt denn sonst schon auf die Idee, aus einem Stapel Zeitungen (Newspapers) ein Taxi zu falten, mit dem es dann weitergeht? Lucy verhelfen wir zu ihren Kaleidoskop-Augen, bekommen dafür einen Kuss und ein paar Diamanten und langsam arbeiten wir uns wieder in die Realität vor. Und das war erst der Anfang. Beatle Quest ist ein überraschend großes Spiel – aber leider lässt es einen übergreifenden Rahmen vermissen. Warum wir unterwegs sind? Keine Ahnung. Das Ziel unserer Reise? Existiert nicht. Wir arbeiten uns Abschnitt für Abschnitt vor und irgendwann ist plötzlich das Ende da. “And in the end the love you take is equal to the love you make” würde sich hier als Zitat anbieten, aber leider habe ich vom Spiel wenig Liebe bekommen. So sehr ich auch danach gesucht habe. Stattdessen bekomme ich eine Telefonnummer von Number Nine Software, die ich für ein kostenlosen Abzeichen anrufen kann. Laut Garry Marsh hat ihn nie jemand deswegen angerufen, weshalb er das Abzeichen auch nie zuende entworfen hat.
I look at you all
Die 1980er Jahre waren in Entwickler-Kreisen eine recht freizügige Zeit. Natürlich gab es immer wieder Klagen vor Gericht, wenn ein allzu offensichtliches Plagiat eines bekannten Spielhallen-Hits auf den Markt geworfen wurde. Doch gerade im Musik-Bereich waren Copyright-Verletzungen anscheinend eine gängige Praxis. Ich bin also direkt davon ausgegangen, dass Beatle Quest sich nicht groß um die Rechte geschert hat. Doch weit gefehlt: Laut Aussage von Garry Marsh hatte er die Texte für das Spiel lizensiert – 1985 eine Seltenheit:
Beatle Quest was NOT AN UNAUTHORISED game. I signed contracts with ATV music to use the lyrics etc. I started to write the follow up game, A Day in the Life, part two, and my life, my wife, our two boys took presidence.
ATV ist heute ein Teil des Sony-Konzerns. In den 1970er und 80er-Jahren war er ganz vorne dabei im Rechte-Handel mit Songs. Für uns interessant ist, dass 1969 ohne Einwilligung der Beatles ein Großteil ihrer Song-Rechte verkauft wurde. Später wiederum kaufte Michael Jackson die komplette Rechte-Bibliothek auf – obwohl er laut eigener Aussage McCartney den Vortritt lassen wollte. Diesem aber waren die Rechte zu teuer.
Ob zum Zeitpunkt der Spiel-Entwicklung die Rechte bereits bei Michael Jackson lagen, bezweifle ich. Der Musiker kaufte mit ATV die Rechte an den meisten Beatles-Songs erst am 10. August 1985 nach zähen Verhandlungen. Wie dem auch sei: Marsh durfte sich aus den Beatles-Texten nach Herzenslust bedienen. Um die vollständige Kontrolle am Werk zu behalten, gründete er mit Number 9 Software direkt seinen eigenen Publisher und vertrieb von die Cassetten per Mailorder von zuhause aus. Der Firmenname verbindet perfekt seine Liebe zu den Beatles mit seiner Leidenschaft für Adventures der Firma Level 9. Doch leider blieb Beatle Quest das einzige Werk der Firma.
Nachdem der Spiele-Publisher Number 9 Software bereits nach einem Titel Geschichte war, wandelte Marsh seine Firma in einen Verlag um. Eine vollständige Auflistung der Titel habe ich leider nicht gefunden, aber selbstverständlich handeln viele der Bücher von den Beatles und ihrem Umfeld. Ich wusste bei allem Eigeninteresse bisher nicht, dass es eine Biographie über Alf Bracknell gibt. Wen? Genau. Der Titel des Buchs könnte Aufschluss geben: “Baby, you can drive my car!” – Bracknell war Chauffeur bei den Fab Four. Wer möchte, kann auf 239 Seiten in “The Beatles’ Christmas Book – Everywhere ist Christmas” auch alles rund um das Weihnachtsfest mit den Beatles erfahren. Weihnachts-Platten für den Fanclub, Weihnachts-Auftritte, Memorabeatlia…
Marsh nennt als Hauptgrund für den Wechsel ins Buchgeschäft die technischen Sprünge bei Software: Es ist leichter, Geschichten und Geschichte zwischen Buchdeckel zu pressen anstatt erst einmal die nächste Programmiersprache zu erlernen. So bleibt uns mit Beatle Quest ein einziger Ausflug in die Strawberry Fields. Ein nicht unbedingt empfehlenswertes Spiel – aber einzigartig.
Ursprünglich geplant war Beatle Quest als erster Teil einer Trilogie. Schon auf der Cover-Rückseite kündigten Walsh und Number 9 Software die beiden Nachfolger an: A Day in The Life, Part 2″ und “Across the Universe”. Teile des zweiten Teils programmierte er auch, allerdings kam ihm das reale Leben dazwischen. Im Interview mit John Aycock sagte er dazu: “We had a family, I was a teacher, ‘life goes on. . . bra!’ It should have been a trilogy, but Part 2 got started, some bits exist, and Part 3 is still in my head!” Ob die beiden Spiele zusammen mit Beatle Quest eine übergreifende Geschichte ergeben hätten, wage ich angesichts der bisherigen Story zu bezweifeln – aber wir werden es wohl leider nie erfahren.
Es gibt ja heute immer wieder mal abgefahrene Spiele aber die richtigen Kuriositäten gab es irgendwie nur in den 80ern. Eine wilde Zeit damals. Wo buddelst Du so etwas immer aus? 🙂
Mir fiel Frankie goes to Hollywood ein und dann war der Gedanke nicht fern, für welche Bands auch was Altes rausgekommen sein könnte. Und meine erste Google-Anfrage bei Bands ist immer „Beatles“ 😀
Gestern Abend hab ich dann gelernt, dass mindestens noch eine Person in Deutschland dieses Spiel kennt.
Weder das Spiel noch dessen muskalische Wurzeln lassen bei mir auch nur eine Spur von Begeisterung aufkommen. Aber die Idee das man nach Abschluß eines Spiels ein Abzeichen bekommen könnte läßt den 13 Jährigen in meinem Kopf aufhorchen und die interne Bilder-KI produziert sowas wie das hier
https://www.gettyimages.de/fotos/scout-sash, nur mit Abzeichen für Monkey Island, Indy 4, Tie Fighter, C&C,….
Das wäre vielleicht auch einmal eine Recherche wert. Wenn ich mich richtig erinnere, gab es so etwas doch im Laufe der Zeit schon ein paar Mal, oder? Also Belohnungen, die man nach Beenden des Spiels zugeschickt bekam.
Bei Enduro (Atari VCS 2600) konnte man vom Endbildschirm ein Foto machen und nach Atari schicken, da bekam man auch einen Aufnäher, meine ich. Und bei irgendeinem Ultima konnte man das meine ich auch machen, da bekam man dann ein Schreiben von Lord British.