Amstrad CPC 472

Als kleine Geburtstags-Überraschung hat Jürgen diesen Artikel für euch eingesprochen! Ihr habt nun die Wahl, ob ihr ihn lieber lesen oder hören möchtet. Oder einfach beides!

Der Amstrad CPC war ein durchaus erfolgreicher 8-Bit-Heimcomputer, der Mitte bis Ende der 1980er Jahre auf dem Markt war. Neben den beiden erfolgreichen Modellen CPC 464 und 6128 gab es für wenige Monate den CPC 664, der die 64 Kilobyte Speicher des 464 mit dem 3-Zoll-Diskettenlaufwerk des 6128 verband. Dieses Gerät wurde schlicht an der Kundschaft vorbei konzipiert, da Amstrad beziehungsweise in Deutschland die Firma Schneider bereits den mit 128 Kilobyte Speicher ausgerüsteten CPC 6128 für Geschäftskunden angekündigt hatte. Welcher Heimanwender sollte da denn noch den 664 kaufen? Mein Vater zum Beispiel – und dass mein Gerät bei meiner Tante auf dem Dachboden buchstäblich zu Tode verstaubt ist, ist eine der Tragödien in meinem Leben.

Mittlerweile dürfte der geneigte Leser bereits erkannt haben, dass Teile der Geräte-Bezeichnung die RAM-Größe beinhalten. Was also könnte es mit dem CPC 472 auf sich haben?

Spanien, du hast es besser!

Dieses spezielle Gerät erschien nur in Spanien. Und selbst dort war es nur wenige Monate auf dem Markt. Der genaue Erstverkaufstag ist nicht verbrieft, aber vermutlich gingen die ersten Modelle im August 1985 über die Ladentheke, die letzten Abverkäufe dürften im Januar 1986 erfolgt sein. Was aber trieb Alan Sugar, den Chef des britischen Amstrad-Unternehmens dazu, ein Gerät mit 72 Kilobyte auszustatten?

Freunde der Künstlichen Intelligenz können hierzu ChatGPT befragen und dann beruhigt sein: So schnell wird der Tag des Jüngsten Gerichts wohl noch nicht kommen, SkyNet ist noch nicht so weit. Auf meine Frage, inwiefern sich die 8 Kilobyte mehr denn bemerkbar machen, schrieb der Rechner nach kurzem Zögern folgendes:

Die zusätzlichen 8 Kilobyte Arbeitsspeicher des CPC 472 im Vergleich zum CPC 464 bieten einige Vorteile, die die Nutzung des Computers verbessern können. Mit mehr Arbeitsspeicher können Programme und Daten effizienter verarbeitet werden, was zu einer besseren Leistung und schnelleren Ladezeiten führt. Außerdem ermöglicht der erweiterte Speicher komplexere Anwendungen und Spiele, die mehr Ressourcen benötigen. Dies kann auch die Multitasking-Fähigkeiten des Systems verbessern, sodass mehrere Programme gleichzeitig ausgeführt werden können, ohne dass es zu Leistungseinbußen kommt. Insgesamt tragen die zusätzlichen 8 Kilobyte dazu bei, die Benutzererfahrung zu optimieren und die Möglichkeiten des CPC 472 zu erweitern.

ChatGPT

So logisch diese Antwort klingen mag: Sie ist von vorne bis hinten falsch. Der zusätzliche Speicher hat nämlich genau gar keinen praktischen Nutzen. Warum ist er denn aber dann überhaupt eingebaut? So ein Bauteil kostet schließlich auch Geld, oder? Nun, schuld daran ist die spanische Regierung:

Das königliche Dekret

Das spanische Wirtschaftsministerium erließ am 17. Juli 1985 das königliche Dekret 1215/1985. Veröffentlicht – und damit in Kraft getreten – am 25. Juli, führte es eine neue Zollgebühr ein. Computer, die in Spanien eingeführt werden, sollten mit umgerechnet ungefähr 90 Euro zusätzlich belastet werden. Einige Wochen später, am 3. September 1985 wurde das Gesetz – vermutlich auf Druck der Computerindustrie – bereits etwas aufgeweicht: Betroffen waren nun nur noch Computer mit 64 Kilobyte Arbeitsspeicher (oder gar weniger).

Zusätzlich zu dem Arbeitsspeicher-Ärger beschloss das Ministerium für Industrie und Energie am 19. Juli 1985, dass Computer, die in Spanien verkauft werden, zwingend eine spanische Tastatur benötigen. Dies führte dazu, dass es zwei verschiedene CPC-472-Versionen gab: Erst eine kurzlebige Variante mit englischer Tastatur, die dann durch eine Tastatur mit ñ-Taste abgelöst wurde.

Die Tastatur war in der Herstellung nicht schwierig umzusetzen. Doch die Zollgebühren waren für ein Gerät wie den CPC, das sich auch über den günstigen Gesamtpaket-Preis verkaufen sollte, eine hohe Hypothek. Die Lösung versprach die Einschränkung auf Computer mit 64 Kilobyte Speicher. Dann musste eben mehr in den Rechner rein. Aber wie? Eine Überarbeitung des Boards wäre langwierig und kostenintensiv. Die Lösung lag auf der Hand – beziehungsweise an einer ganz bestimmten Stelle.

Alan Sugar, der Chef des CPC-Herstellers Amstrad, erinnert sich in seiner (dicken) Autobiografie What you see is what you get an die Situation:

Im August 1985 erhielt ich einen panischen Anruf von Dominguez, der mir mitteilte, dass es ein ernsthaftes Problem gäbe und dass alle Computer mit 64k und weniger nun für die Einfuhr nach Spanien verboten seien. Der Grund dafür war, dass ein spanischer Hersteller einen 64k-Computer herstellte und es geschafft hatte, die spanische Regierung dazu zu bringen, eine Vorschrift zu erlassen, die alle anderen Computer verbot. Das war eine Katastrophe für Dominguez und Amstrad – wir verkauften inzwischen Tausende von Computern in Spanien.

Glücklicherweise war der ROM-Chip des Hauptbetriebssystems über einen IC-Sockel auf der Platine angebracht, er war nicht fest eingelötet. Ich schlug meinen Leuten in Brentwood vor, eine Mini-PCB zu entwerfen, die den ROM-Chip sowie einen zusätzlichen einzelnen 64k-D-RAM-Chip (und einige Peripheriekomponenten) aufnehmen würde. Außerdem bat ich meine technischen Genies, sich eine Begründung dafür einfallen zu lassen, wozu dieser zusätzliche Chip diente, anstatt einfach nur in der Luft zu sitzen und nichts zu tun. […] Diese Mini-PCB mit dem zusätzlichen D-RAM wurde dann in den ursprünglichen IC-Sockel eingesteckt. Aufgrund dieses Tricks konnten wir sagen, dass der Computer nun 72k Speicher hatte.

Alan Sugar

Das Daughterboard

Im fertigen CPC 472 sieht die zusätzliche Hardware sehr beeindruckend aus. Hier die Platine in ihrer ganzen Pracht:

Die fragliche Stelle findet sich links. Während auf dem 464er-Board (siehe oben) einfach nur zwei Chips befestigt sind, haben die Amstrad-Techniker ein kleines Board obenauf gepflanzt, auf dem mehrere Chips – teilweise durch das Flachbandkabel nicht zu sehen – befestigt sind. Allerdings ist nur der 40037, ein 32-Kb-Chip tatsächlich mit dem Rest des Rechners verbunden. Alle anderen Anschlüsse führen ins Leere. Laut der Seite CPCWiki war das sogar ganz gut so, weil der zusätzlich verbaute 8Kb-Chip nicht besonders gut mit der restlichen CPC-Architektur klargekommen wäre. Er war schlicht nur Blendwerk, das niemals für den Betrieb vorgesehen war. Seinen eigentlichen Zweck erfüllte der kleine Baustein aber problemlos: Der Computer hatte offiziell 72 Kilobyte Arbeitsspeicher an Bord und fiel aus der Zoll-Geschichte raus.

Die EWG

All der Aufwand, mit dem die Zollgebühren umgangen werden sollten, war – im Nachhinein betrachtet – die Mühe nicht wert. Denn am 1. Januar 1986 wurde Spanien gleichzeitig mit Portugal Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Innerhalb dieses Staatenbundes gab es keine Zollbeschränkungen – und damit war die 64-Kilobyte-Regelung Geschichte. Amstrad kehrte dem CPC 472 den Rücken zu und brachte den klassischen CPC 464 mit spanischer Tastatur auf den Markt.

Die kurze Verfügbarkeit sorgt natürlich heutzutage für aberwitzige Preis-Kapriolen. So wird aktuell auf ebay.es ein altes, leeres Gehäuse des CPC 472 samt nicht mehr funktionierendem Board für 365 Euro verkauft. Wohlgemerkt: Ohne Tastatur. Die sei leider nicht mehr vorhanden.

Trivia

Das spanische Handbuch des CPC 472 ist ein kleines Kuriosum: Auf dem Cover prangt noch die gute alte CPC-464-Bezeichnung, während innen konsequent der 472 beschrieben wird. Die 8 Kilobyte haben in der Einleitung auch direkt einen wichtigen Auftritt. Dort heißt es:

AMSTRAD CPC472 ist eine neue Version des AMSTRAD CPC464. Dieses neue Modell bietet keine relevanten Unterschiede zum Vorgängermodell, mit Ausnahme der Integration des ROM des AMSTRAD CPC664 Modells. Es war auch notwendig, den Speicher des Geräts um weitere 8Ks zu erweitern, die für die Implementierung des überarbeiteten ROMs benötigt wurden. Dieser zusätzliche Speicher wird daher direkt vom Prozessor verwendet und verwaltet, um den Bedarf zu decken, der durch den Einbau der neuen Locomotive Basic-Befehle entstanden ist, so dass es nicht notwendig war, auf den verfügbaren Speicher zurückzugreifen, der immer noch 64Ks für den Benutzer beträgt.

Amstrad CPC 464 Guia del Usuario

Wieso der CPC 664 das irrsinnig aufgebohrte Basic 1.1 in seine schmalen 64 Kilobyte Speicher quetschen konnte, der CPC 472 dagegen nicht? Das wird leider nicht erklärt. Alan Sugar selbst räumte 2024 selbst ein, dass das nicht einmal Marketing-Gewäsch war.

Ich muss zugeben, dass wir im Handbuch des CPC472 gelogen haben. Es war eine sehr professionelle Lüge, die darin bestand, dass wir behaupteten, die zusätzlichen 8kb RAM würden vom Betriebssystem (Basic) verwendet. Das war wichtig, denn wenn Sie „64k“ auf dem Bildschirm sehen, ist das angeblich der freie Speicher, der Ihnen zur Verfügung steht, weil Basic angeblich den zusätzlichen RAM in einem geheimen Bereich verwendet, auf den Sie als Nutzer nicht zugreifen können.

Spanien hat eines der „modernsten“ Verjährungsgesetze der Welt. Das bedeutet, dass Wirtschaftsdelikte nach 5 oder 10 Jahren verjähren. Und unser wunderbares 472-Manöver ist schon fast 40 Jahre her.

Alan Michael Sugar auf der Webseite Amstrad-noob.com, 30. Januar 2024
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Über Jürgen

Geschichts- und Musik-Liebhaber mit einer Schwäche für viel zu lange Computerspiele. Der Werdegang CPC - Pause - PC und Konsolen sorgt dafür, dass ich noch so viele schöne alten Perlen entdecken darf.

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3 Comments on “Amstrad CPC 472”

  1. Der Amstrad ist ein System, welches mich nie so richtig interessiert hat. Ich hatte mal eine Weile einen in meiner Sammlung, aber es war eines der ersten Objekte, die ich verkauft hatte, als ich aus Kostengründen meine Sammlung gesundschrumpfen musste.

    Den Artikel fand ich trotzdem interessant.

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