AGS-Classics #2: Metaphobia

Das Interview

Hallo Tolga und vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, ein paar Fragen zum AGS-Classics-Artikel über Metaphobia zu beantworten.

Gerne!

Dein erstes Adventure John Sinclair – Voodoo in London hast du ja 2016 vorzeitig abgebrochen und „halb fertig“ veröffentlicht. Lag es daran, dass du lieber etwas Eigenständiges erschaffen wolltest, das auf keiner Vorlage basiert, oder hatte es noch andere Gründe?

John Sinclair- Voodoo in London war eher ein Experiment. Damals habe ich als Teenager nach einer simplen Story für ein Adventure-Game gesucht, da ich mich in AGS einarbeiten wollte.  Dank einer kurzen Recherche stieß ich auf Geisterjäger John Sinclair. Zur selben Zeit entdeckte ich Gabriel Knight – Sins of the Fathers von Sierra On-Line und Ben Jordan – Paranormal Investigator von Grundislav Games. John Sinclair wurde sowohl optisch als auch inhaltlich ein merkwürdiges Gemisch aus all diesen Titeln.

Ich brach dieses John Sinclair-Projekt aus zwei Gründen ab. Erstens: Das Spielscript  war viel zu lang, so dass das Adventure zu einem Mammutprojekt wurde, das ich als Einzelperson kaum stemmen konnte. Zweitens: Ich wurde zum Bastei Lübbe Verlag nach Köln eingeladen, um das Spiel vorzustellen. Dort meinte das Team für digitale Medien, dass sie mich unterstützen würden und das Spiel Helmut Rellergerd („Jason Dark„), dem Autor der John Sinclair-Hefte, zeigen würden. Nach diesem Treffen mit Bastei Lübbe habe ich nie wieder von ihnen gehört. Das hat mich als Teenager schon ziemlich demotiviert.

Mit der Grundidee und dem Arbeitstitel „Reptiloiden Adventure“ bist du ja schon 2017 an die Öffentlichkeit gegangen, beispielsweise im Adventure-Treff– und AGS-Forum. Warst du am Anfang noch ganz allein mit dem Projekt? Wie kam es dann zur Zusammenarbeit mit David Brocek, wie entstand Digital Mosaic Games und woher kam der finale Name des Spiels?

Zu Beginn war ich ganz allein mit der Grundidee für das „Reptiloiden Adventure“. Im AGS-Forum suchte ich nach einem Autoren, der meine bruchstückhaften Ideen zu einer kompletten Story vervollständigen konnte. Außerdem sollte die gesuchte Person auch die Dialoge und das Puzzledesign übernehmen. Eines Tages schrieb mir David Brocek und da wir uns gut verstanden arbeiteten wir zusammen. Ich fokussierte mich auf das allgemeine Gamedesign, Grafiken und Animationen sowie das Playtesting. Später kamen noch ein Programmierer, ein Komponist, ein Sounddesigner und ein Proofreader dazu und wir nannten uns „Digital Mosaic Games“. Mosaic deswegen, weil wir eine pixelige und somit mosaikähnliche Grafik wählten. „Metaphobia“ war ein Name, den ich schon längere Zeit im Hinterkopf hatte. Ich war an Metaphysik und Philosophie interessiert und ich war ein Horrorfan, also sagte mir „Metaphobia“ zu.

Wie lief die Entwicklung ab? Habt ihr genau voraus geplant, welche Schritte ihr in welcher Reihenfolge abarbeitet? Habt ihr beispielsweise zuerst die Story entworfen und danach die Rätsel?

Wir kommunizierten hauptsächlich über Skype (Textnachrichten). Zunächst erarbeitete ich mit David Brocek die groben Story-Entwurf. Es war also klar, dass es um die Reptiloiden-Verschwörungstheorie und Sumerer gehen und das Ganze als Thriller verpackt werden soll. Ab diesem Zeitpunkt entwickelte David die Story, Dialoge und Puzzles, wobei ich natürlich hin und wieder mitmischte.

David schickte mir minimalistische Skizzen für die benötigten Hintergründe und ich pixelte die entsprechenden Bilder dazu. Erst nachdem ich die Hintergründe fertig hatte, holten wir Vincent, einen Programmierer und Daniel, den Komponisten mit ins Boot. Während die anderen in der Gruppe musizierten, programmierten und Dialoge schrieben, erstellte ich alle übrigen Grafiken von Animationen bis hin zum User-Interface. Wir haben also alle Arbeitsschritte in ihrer logischen Reihenfolge durchgeführt.

Wir sind sehr freundlich miteinander umgegangen und wenn es Meinungsverschiedenheiten gab, konnten wir, wenn nötig, Kompromisse eingehen, mit denen alle zufrieden waren. Die Arbeitsatmosphäre war sehr angenehm.

Stand von Anfang an fest, dass ihr AGS als Engine und einen Low-Res-Pixel-Look verwenden möchtet?

Bis zum heutigen Tag bin ich maßgeblich von Gabriel Knight – Sins of the Fathers geprägt. Und da ich ein recht nostalgischer Mensch bin, wenn es um Spiele jeglicher Art geht, ist die Pixelgrafik, wie in den Sierra-Adventures aus den 1990ern natürlich ein absolutes Muss. Da wir ein Pixel-Adventure im traditionellen Stil und ohne viel technischen Schnickschnack im Sinn hatten, wählten wir AGS. 

Für die Grafik warst du ganz allein verantwortlich. Hattest du Vorbilder für den Pixel-Look von Metaphobia?

Mein großes Vorbild, was Adventures angeht, ist bis heute Gabriel Knight – Sins of the Fathers. Die Grafik von Kings Quest 6 hat es mir auch angetan. Wer Gabriel Knight kennt, wird diesen Look in Metaphobia wiedererkennen.

Wie bist du auf die Idee gekommen, Rotoskopie für die Animationen zu verwenden? Könntest du uns einen kleinen Einblick in deine Vorgehensweise geben, damit wir einen ungefähren Eindruck bekommen, welcher Aufwand dahintersteckt?

Das Rotoskopie-Verfahren wurde ja auch von Sierra für Gabriel Knight 1, Kings Quest 6 oder anderen Spielen dieses Entwicklers angewandt, um realistische Animationen zu erzeugen. Ich mag einfach den Mix aus realistisch und pixelig, weshalb ich z. B. auch den ersten Prince of Persia Teil für DOS sehr schätze.

Zum Prozess: Zunächst habe ich mir eine Liste mit all den benötigten Animationen gemacht und auch alle Outfits der Charaktere im Spiel festgelegt. Dann habe ich Freunde und Familie in einer Turnhalle vor einem Greenscreen mit einer Videokamera aufgenommen. Nach zwei Dreh-Sessions hatte ich alle Aufnahmen im Kasten. Dann galt es, jedes Video in die „Pixel-Größe“ zu verkleinern. Dann habe ich die Frames (Einzelbilder) der Animation auf ein Minimum reduziert, so dass es nicht allzu viele Frames zum Bearbeiten gab.

Der nächste Schritt war das Indizieren einer Farbpalette. Ich benutzte meistens die Farbpalette von Gabriel Knight 1, stellte aber auch teilweise selbst Paletten zusammen. Nachdem die Farben für jedes Kleidungsstück bzw. für jeden Hautbereich eingefügt waren, folgte der eigentliche „Pixel-Prozess“. Nun konnte ich die groben Farbverläufe „sauber pixeln“. Für Metaphobia habe ich über 150 Animationen erstellt. 

In diesem Video von Jonas Tyroller, einem befreundeten Youtuber, findet ihr ein paar Greenscreen-Aufnahmen. Die originalen Videos, die ich in der Turnhalle aufgenommen habe, sind leider verloren gegangen.

Welche realen Vorbilder hattest du für die Nahaufnahmen der Charaktere im Hinterkopf? Richard Elmstad basiert ja offenbar auf Mads Mikkelsen.

Im Nachhinein betrachtet war die Methode, echte Schauspieler als Basis für die Charaktere zu nutzen, eine Schnapsidee. Ich wollte damals, da ich ein großer Film-Fan bin, meinen eigenen Cast aus berühmten Schauspielern wie in einem Film zusammenstellen. Judy Cassidy war beispielsweise von Kathryn Morris aus Cold Case inspiriert. Patricia Elmstat, die Tochter von Richard, war an Ellen (heute: ElliotPage orientiert. Weitere Schauspieler und bekannte Personen: Fred Gwynne als Howard J. Procter,  Ken Wilber als Prof. Cornelius Blake, Tony Todd als Michael Coltrane.

Ohne zuviel verraten zu wollen: Hattest du den Ausgang des Spiels schon von Anfang an so geplant oder gab es vielleicht sogar Ideen für andere Enden?

Das weiß ich leider gar nicht mehr so genau. Da müsste man wahrscheinlich David Brocek fragen.

Warst du mit den Reaktionen auf die Veröffentlichung von Metaphobia zufrieden?

Das Spiel ist jetzt zwar nicht eingeschlagen wie eine Bombe, aber ich bin froh, dass so viel Leute wie möglich hoffentlich ihren Spaß mit dem Ergebnis hatten. Wir haben zwei AGS Awards bekommen und es hat Spaß gemacht, die Let’s Plays auf Youtube anzusehen. Es ist schon surreal, wenn Menschen aus aller Welt unser Adventuregame spielen.

Metaphobia ist so gut geworden, dass ihr es sicherlich auch kommerziell hättet vermarkten können. Waren sich in eurem Team alle einig, das Spiel als Freeware zu veröffentlichen und warum habt ihr so entschieden?

Wir haben es als Freeware-Produkt veröffentlicht, da es ein Spiel von Adventurefans für Adventurefans sein sollte. Wir wollten so viele Menschen wie möglich mit dem Spiel erreichen. Wir waren uns alle einig, dass dies der beste Weg ist.

Bist du noch Teil von Digital Mosaic Games? Zumindest am gerade in der Entwicklung befindlichen Castle Dornstein arbeitest du ja nicht mit.

Jeder der sechs führenden Köpfe von Digital Mosaic Games darf diesen Teamnamen für eigene Projekte nutzen. Als David Brocek nach Metaphobia gleich sein Adventure Castle Dornstein in Angriff nehmen wollte, hatte ich erstmal die Nase voll vom Pixeln, da ich für Metaphobia fast drei Jahre damit beschäftigt war.

Arbeitest du derzeit an einem neuen PC-Spiel?

Tolga Öcek: Nein, ein PC-Spiel bzw. ein digitales Spiel ist derzeit nicht in Arbeit. Stattdessen verfolge ich ein Brettspiel-Projekt, bei dem ich einen Dungeoncrawler selbst erstellen möchte. Es wird also ein Spiel, bei dem man Spielplanteile nach und nach erkundet, so wird der Dungeon also zufällig generiert. Man kreiert Charaktere, kämpft gegen Monster, erbeutet Schätze und Items. Zu meinen Inspirationsquellen gehören Spiele wie Advanced HeroQuestBetrayal at House on the Hill oder Mansions of Madness.

Hast du auch beruflich mit Spieleentwicklung oder Grafikgestaltung zu tun? Falls nein, könntest du dir vorstellen, hauptberuflich in der Spielebranche zu arbeiten?

Ich verfolge hobbymäßig das eben genannte Dungeoncrawler-Projekt und spiele auch viele analoge Spiele, die in diese Richtung gehen. Ich könnte mir auch gut vorstellen, eines Tages mein Hobby zum Beruf zu machen.

Welche Spiele haben dich geprägt? Spielst du auch heute noch?

Computerspiele die mich geprägt haben: die Gabriel Knight-Spiele, vor allem der erste Teil, Prince of Persia aus 1989 und Baphomets Fluch. Brettspiele, die einen bleibenden Eindruck in mir geweckt haben: (Advanced) HeroQuest, Betrayal at House on the Hill.

Mit digitalen Spielen verbringe ich weniger meine Zeit. Es ist schön, auch mal vom Bildschirm wegzukommen und mit Freunden und Familie ein Brettspiel zu spielen. Ich habe auch Solo-RPGs wie Vier gegen die Finsternis oder Deathmaze (1979) für mich entdeckt.

Zum Abschluss noch eine Grundsatzfrage: LucasArts oder Sierra?

Sierra!

Das wird eine gewisse Minderheit sicherlich freuen. Vielen Dank für deine Zeit!

Immer gern!

(Dieser Beitrag erschien zuerst am 16. Juli 2023 auf GamersGlobal)

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Über TheLastToKnow

Adventure-Fan aus dem Ruhrpott, groß (aber nicht erwachsen) geworden mit den SCUMM-Adventures in den 1990er Jahren. Spürt immer wieder kleine Indie-Perlen auf und zerrt sie ans Tageslicht.

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