Seit der zweiten Folge der AGS-Classics beinhaltet der Artikel immer ein abschließendes Entwickler-Interview. Nun bekommt auch Folge 1 das Interview, das sie verdient!

DKSN: Hallo Francisco! Die erste Folge der AGS-Classics haben wir deiner legendären AGS-Spielereihe Ben Jordan gewidmet. Jetzt holen wir endlich das dazugehörige Interview nach. Danke, dass du dir die Zeit dazu nimmst!
Francisco: Danke für euer Interesse!
DKSN: Dich als AGS-Urgestein zu bezeichnen wäre wohl keine Übertreibung, du hast bereits viele Interviews gegeben und warst in etlichen Podcasts zu hören und Videos zu sehen – und darüber hinaus bist du auch einer der produktivsten AGS-User, die uns bisher untergekommen sind. Dein erstes AGS-Adventure, das wir finden konnten, stammt aus dem Jahr 2002 und trägt den tollen Namen Porn Quest. Kannst du dich noch an deine Anfänge mit AGS erinnern? Weißt du noch, wann du dir AGS das erste Mal angesehen hast? Und welches Spiel war WIRKLICH dein erstes, das du selbst erstellt hast?

Francisco: Ich erinnere mich genau, dass ich AGS Ende 2000 gefunden und heruntergeladen habe, als ich im ersten Semester des Colleges war. Ich weiß noch, dass ich versucht habe, ein Spiel mit dem Namen „Hell College“ zu entwickeln, wobei ich Fotos meines Studentenwohnheims als Hintergründe und eine sehr grob gezeichnete Pixel-Hauptfigur verwendet habe. Porn Quest war ein Scherz, und ich kann mich ehrlich gesagt nicht mehr daran erinnern, was mich dazu inspiriert hat. Als ich anfing, die Dinge ernster zu nehmen, beteiligte ich mich an der Reality-On-The-Norm-Community und entwickelte drei Spiele in dieser Serie, von denen ich das erste im Dezember 2001 veröffentlichte.
DKSN: Wie wir deiner Website entnehmen können, wurdest du mit den bekannten Adventures von Größen wie Sierra, LucasArts oder Revolution Software sozialisiert. Gab es ein entscheidendes Vorbild oder ein bestimmtes Ereignis, das dich dazu gebracht hat, eigene Adventures zu entwickeln?
Francisco: Ich wollte das schon immer mal ausprobieren, hatte aber nie die Fähigkeit zu programmieren. Das entscheidende Erlebnis, das mich dazu gebracht hat, tatsächlich weiterzumachen und Spiele fertigzustellen, war die Entdeckung von Adventure Game Studio.
DKSN: Deine Reihe rund um den „paranormalen Entwickler“ Ben Jordan hat uns damals große Freude bereitet und Erinnerungen an frühere Mystery-Serien wachgerufen. Wir vermuten, dass dort auch die Inspiration zu den Spielen herkam, richtig?

Francisco: Wenn du dich auf Gabriel Knight beziehst, ja, das war der Haupteinfluss für Ben Jordan. Ich wollte mich davon abheben, indem ich den Schwerpunkt der Fälle auf „Urban Legends“ und Folklore statt auf typische Monster wie Vampire, Werwölfe usw. legte.
DKSN: Nach acht Spielen hast du die Serie zu einem Ende gebracht. Hast du den übergeordneten Handlungsbogen während der Entwicklung erdacht oder schwirrte er seit Begin in deinem Kopf?
Francisco: Ja, ich habe mich hingesetzt und mir den gesamten Handlungsbogen der Serie ausgedacht, als ich gerade am dritten Fall arbeitete. Als ich die ersten beiden Spiele machte, hatte ich keinen klaren Plan, wie viele ich machen wollte.
DKSN: Denkst du heute noch an die Spiele zurück und juckt es dich vielleicht sogar noch manchmal in den Fingern, neue Episoden zu entwickeln?

Francisco: Nicht wirklich. Manchmal erwähnen die Leute sie, aber ich habe sie seit Ewigkeiten nicht mehr gespielt, und ich habe nicht wirklich Lust, die Serie wieder aufleben zu lassen.
DKSN: Hast du eine Lieblingsepisode oder einen Handlungsstrang, auf den du besonders stolz bist? Wie sieht es mit den Nebencharakteren aus – gibt es hier einen Liebling?
Francisco: Das Projekt, an das ich mich am liebsten erinnere, war Case 3: The Sorceress of Smailholm. Ich habe es während eines Sommers an der Universität entwickelt, wo ich zwei Kurse pro Woche belegte und somit eine Menge Freizeit hatte. In diesem Sommer hatte ich meine Wohnung für mich allein und verbrachte die meiste Zeit damit, das Spiel zu entwickeln, mit anderen AGS-Mitgliedern im IRC zu chatten und Musikstücke von meinem Komponisten zu bekommen.

Was die Nebenfiguren betrifft, so mochte ich Percival Quentin Jones sehr. Es hat viel Spaß gemacht, seine geheime Hintergrundgeschichte anzuteasern.
DKSN: Der erste Teil von Ben Jordan hat eine Neuauflage mit Sprachausgabe spendiert bekommen. Welche Geschichte steckt denn dahinter?
Francisco: Ich habe ein Remake der ersten beiden Fälle erstellt, nachdem ich bei Fall 6 angelangt war – vor allem weil sie von viel geringerer Qualität waren und weil ich einige Dinge in ihnen umbauen wollte, damit sie besser in die Gesamtgeschichte passen. Zum Glück hatte ich die ganze Geschichte schon nach zwei kurzen Spielen durchgeplant und nicht erst später – denn die Versuchung, alle anderen Fälle neu zu machen, wäre wohl zu groß gewesen!
DKSN: Der Quellcode zu den Spielen scheint wohl verloren gegangen zu sein und damit wohl auch die Hoffnung auf eine Modernisierung und Wiederveröffentlichung auf digitalen Plattformen wie Steam. Hast du mit dem Thema abgeschlossen oder könntest du dir vorstellen, noch einmal zu Ben zurückzukehren, zum Beispiel in Form eines Reboots?
Francisco: Wie bereits erwähnt, habe ich keine Ambitionen, die Serie wieder aufzunehmen. So stolz ich auch auf sie bin und die Unterstützung der Fans über die Jahre zu schätzen weiß, ich habe mich weiterentwickelt. Und um ganz ehrlich zu sein, ist die ganze Prämisse von Ben Jordan auch nicht gerade originell. Ich würde mich viel lieber auf neue Dinge konzentrieren.
DKSN: Im Laufe der Jahre folgten noch viele weitere Adventures, an denen du gearbeitet hast bzw. die du unterstützt hast. In deiner AGS-Historie werden 40 Titel aufgeführt, in denen du unterschiedliche Rollen übernommen hast. Im Jahr 2012 hast du dich dann entschieden, professionell Adventures zu entwickeln. Wie kam es dazu und hattest du noch einen Plan B in der Hinterhand? Was wärst du am liebsten geworden, wenn du kein Indie-Entwickler geworden wärst?

Francisco: Irgendwann im Jahr 2007 begann Dave Gilbert von Wadjet Eye Games, Spiele anderer Entwickler zu veröffentlichen, und er sagte mir, dass er gerne etwas von mir veröffentlichen würde. Zu dieser Zeit arbeitete ich immer noch an der Ben-Jordan-Reihe, und ich wollte diese fertigstellen, bevor ich mich an etwas Kommerzielles wagte.
Es dauerte noch ein paar Jahre, aber etwa 2009 hatte ich die Idee für A Golden Wake. Ich schlug sie Dave 2012 vor und begann noch im selben Jahr mit der Arbeit daran. Im Jahr 2013 zog ich nach New York und beschloss, meine Zeit der Fertigstellung von A Golden Wake zu widmen und dann zu sehen, was passiert. Wenn ich nicht als Indie-Entwickler weitergemacht hätte, würde ich wahrscheinlich immer noch als Gerichtsdolmetscher arbeiten, was ich von 2009 bis 2013 getan habe.
DKSN: Wie hast du deine Anfänge in der Games-Branche finanziert? Hattest du noch andere Jobs? Und wie sieht das heute aus?

Francisco: Ich hatte es geschafft, genug Geld zu sparen, um ein Jahr lang davon leben zu können, und so konnte ich mich während der Entwicklung von A Golden Wake über Wasser halten. Ich hatte das Glück, keine anderen Jobs annehmen zu müssen und mich voll und ganz der Fertigstellung des Spiels widmen zu können. Heute bin ich immer noch in der glücklichen Lage, von dem Geld zu leben, das ich mit A Golden Wake und Lamplight City verdiene. Rosewater wird bald dazukommen, worauf ich mich sehr freue.
DKSN: Dein erstes kommerzielles Adventure A Golden Wake wurde 2014 unter deinem Label Grundislav Games über Wadjet Eye Games veröffentlicht. Dann folgte 2016 Shardlight, das du zusammen mit Ben Chandler entwickelt hast, allerdings vollständig unter der Flagge von Wadjet Eye Games. Bei Lamplight City aus dem Jahr 2018 wiederum tritt Grundislav Games wieder als Entwickler auf, zusammen mit dem neuen Publisher Application Systems Heidelberg, der auch dein neuestes Werk Rosewater veröffentlicht. Klingt nach einer bewegten Geschichte, kannst du hier ein wenig Licht ins Dunkel bringen, wie sich das so entwickelt hat?

Francisco: Ich habe ja bereits erwähnt, dass Dave mein erstes Spiel, A Golden Wake, veröffentlicht hat. Während ich daran arbeitete, beschlossen Ben und ich, uns zusammenzutun und an Shardlight zu arbeiten – aber bevor wir wirklich mit dem Projekt beginnen konnten, wurde Ben als Vollzeitkünstler bei Wajet Eye eingestellt. Da Ben ein Gehalt bezog, stellte Dave mich als Vollzeit-Designer ein, während ich an Shardlight arbeitete, was bedeutete, dass ich zwar während der Entwicklung des Spiels bezahlt wurde, aber nach der Veröffentlichung keine Tantiemen daran verdienen würde. Außerdem ist Wadjet Eye, anders als bei veröffentlichten Spielen, Inhaber des geistigen Eigentums an Shardlight.

Nach der Veröffentlichung von Shardlight hat mein Angestelltenverhältnis mit Wadjet Eye leider geendet, aber Dave hatte immer noch Interesse daran, Lamplight City zu veröffentlichen, woran ich bereits zu arbeiten begonnen hatte. Nach einigen Monaten der Entwicklung stellten wir jedoch beide fest, dass meine Vision für Lamplight City nicht ganz mit den Vorstellungen von Dave übereinstimmte, und anstatt mich zu bitten, größere Änderungen vorzunehmen, trennten sich unsere Wege.
Das bedeutete, dass ich einen neuen Publisher finden musste, und nach mehreren Monaten des E-Mail-Verkehrs und des Wartens auf Antworten wurde ich mit Volker von Application Systems Heidelberg in Kontakt gebracht. Wir kamen ins Gespräch, und mir wurde klar, dass wir gut zusammenpassen, und so veröffentlichten sie Lamplight City, und ich war froh, bei Rosewater wieder mit ihnen zusammenarbeiten zu können.
DKSN: In einem frühen Interview, das der Resonance-Entwickler Vince Twelve mit dir im Jahr 2006 geführt hatte, gibst du unter anderem allen angehenden Adventure-Entwicklern den Rat: „Kündigt NIEMALS ein Release-Datum an!“. Jetzt, fast 20 Jahre später, hast du nicht wenig Mühe in die Ankündigung des Release-Datums von dem von dir bereits erwähnten Rosewater gesteckt. Am 27.03.2025, nach sechs Jahren harter Arbeit, wird es endlich soweit sein. Dazu erst einmal herzlichen Glückwunsch! Wie fühlt sich das an und wie erleichtert bist du jetzt schon?

Francisco: Danke! Offenbar habe ich meinen eigenen Rat nicht befolgt, denn ich habe für Rosewater zuvor schon Veröffentlichungszeiträume angekündigt, die eindeutig nicht realistisch waren. Der einzige Grund, warum ich schließlich doch ein konkretes Datum ankündigte, war, dass ich mir zu 100 % sicher war, es einhalten zu können.
Im Moment fühle ich eine Mischung aus Erleichterung und Angst, denn ich bin froh, dass ich mit dem Projekt fertig bin und es der Welt zeigen kann. Aber ich habe auch Angst, dass es niemanden interessiert und es weitgehend ignoriert wird. Aber so geht es mir bei jeder Veröffentlichung, es ist also alles wie immer.
DKSN: Wer Screenshots deiner früheren Werke mit denen von Rosewater vergleicht, wird einen deutlichen Qualitätssprung bemerken. Bist du auf einen hohen Berg geklettert und hast dir die Pixel-Kunst von einem Pixel-Guru beibringen lassen oder steckt da einfach „nur“ harte Arbeit hinter?

Francisco: Ich habe im Laufe der Jahre Tipps und Ratschläge von anderen Indie-Künstlern erhalten, aber das alles war „nur“ 20 Jahre harte Arbeit. Man darf nicht vergessen, dass jedes Spiel einen Produktionszyklus von mehreren Jahren hat, deshalb gibt es einen so großen Qualitätssprung zwischen den einzelnen Spielen.
DKSN: Hast du vor, AGS in naher Zukunft treu zu bleiben und weitere Adventures zu entwickeln oder hast du andere Pläne?
Francisco: Ich habe immer gesagt, dass ich so lange dabei bleiben werde, bis ich etwas entwerfe, das über den Rahmen dessen hinausgeht, was AGS leisten kann. Ich glaube nicht, dass sich das in nächster Zeit ändern wird!

DKSN: Kommst du neben deiner Tätigkeit als Entwickler auch zum Spielen? Falls ja, welche Spiele haben es dir in letzter Zeit am meisten angetan?
Francisco: Ja, obwohl ich selten Adventures spiele. Aber mehrere Freunde haben kürzlich ihre Projekte veröffentlicht, also habe ich eine Ausnahme gemacht. The Crimson Diamond und Death of the Reprobate haben mir sehr gut gefallen, und obwohl ich bisher nur ein kleines Bisschen gespielt habe, gefällt mir das Aussehen und die Atmosphäre von Loco Motive sehr gut.

DKSN: Gibt es sonst noch etwas, das du unseren Lesern mitteilen möchtest?
Francisco: Vielen Dank für all die Unterstützung im Laufe der Jahre!
DKSN: Ich stelle allen meinen Gesprächspartnern am Ende des Gesprächs die folgende Frage: LucasArts oder Sierra?
Francisco: Ich mag sie beide, und einige meiner Lieblingsadventures stammen von Sierra, aber es gibt viel mehr Sierra-Spiele, die ich nur „ok“ finde, während ich fast jedes LucasArts-Spiel fantastisch finde, also muss ich mich auf die Seite von LucasArts schlagen.
DKSN: Vielen Dank für das Interview! Wir wünschen dir viel Erfolg mit Rosewater und hoffen noch auf viele weitere Adventures von dir.
Team LucasArts (5) | Team Sierra (2) |
---|---|
Greg Schlaepfer, Ian Schlaepfer, Nathan Hamley, Joshua Nuernberger, Francisco Gonzales | Tolga Öcek, José María Meléndez |
Danke für das interessante Interview! Wie die Zeit vergeht, „A golden Wake“ ist schon 10 Jahre alt. Ich habe das Game gemocht, auch wenn es einpaar Gameplay Eigenheiten hatte aber die Atmosphäre und die Story haben das mehr als ausgeglichen.
Spannend fand ich die Aussage, dass er immer noch von den Tantiemen aus den beiden Spielen leben kann. Ich glaube, Dave Gilbert hat in einem Interview auch einmal erwähnt, dass die Verkaufszahlen lange konstant bleibe. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass Adventures so gut altern.
Ja, das fand ich auch interessant. Finde ich gut, dass es sich zumindest in manchen Fällen lohnen kann, als Indie-Entwickler Adventures zu machen.