Am 30. April 1995 veröffentlichte die Firma LucasArts das Biker-Adventure Full Throttle und beendete damit eine knapp 18 Monate andauernde Durststrecke. Sam & Max Hit the Road, das Vorgänger-Spiel, war bereits im November 1993 erschienen, so dass Firmen-Fans höchst gespannt auf den nächsten Knaller warteten. Wie glücklich die Presse und die Adventure-Freunde damals und heute waren, werden wir hier lesen.
Ben – Wer sonst?
In der PC Games 07/95 legte Thomas Borovsis einen äußerst interessanten Test des neuen LucasArts-Spiels vor: Einerseits attestierte er der Präsentation mit 94 beziehungsweise 92 Punkten eine glatte Eins, andererseits tuckerte der Spielspaß mit gerade einmal 73 Pünktchen gemütlich über die Ziellinie. Den Grund dafür lieferte er im Meinungskasten:
In Anbetracht der fast lächerlichen Spieltiefe und der Puzzles auf eher unterem Niveau darf man fragen, ob das Skript zu Vollgas überhaupt an den bisherigen Hits des Herstellers gemessen wurde. Wenn ja, hätte eigentlich auffallen müssen, dass hinter der tollen Story, den phantastischen Animationen und dem hervorragenden Sound genau das vernachlässigt wurde, was LucasArts-Adventures bisher immer auszeichnete: viele tolle Puzzles und wochenlanger Spielspaß.
Andere Tester sahen das nicht ganz so eng und legten ihren Fokus lieber auf die Präsentation. Die Power Play zum Beispiel vergab 88 Prozent und ließ gleich zwei Menschen „Super“ jubeln. Die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen. Doch: Was genau macht Vollgas denn anders im Vergleich zu den bisherigen LucasArts-Perlen? Klar, die Puzzles – hat Thomas Borovsis ja schon verraten. Und sonst so?

Ben – Wer bremst, hat Angst!

Der Spieler übernimmt die Figur des Bikers Ben, der wiederum der Chef der Polecats-Motorradgang ist. Im wunderschön inszenierten Intro lernen wir den wortkargen Burschen kennen und lieben, weil er direkt mal über ein schickes Bonzen-Auto brettert und die Kühlerfigur (die verdächtig an den leitenden Entwickler Tim Schafer erinnert) zerdeppert. Überraschenderweise ist Malcolm Corley, der Besitzer des Wagens, nicht verärgert, ist er doch als Besitzer der letzten Motorrad-Fabrik des Landes selbst von der Freiheit auf zwei Rädern begeistert.
Diese Hochstimmung hält aber nicht lange vor, denn Adrian Ripburger, der stellvertretende Geschäftsführer möchte die Firma auf Mini-Vans einschwören. Dummerweise ist sein Chef dagegen – also muss der weg. Ripburger möchte allerdings ungern für einen Mord ins Gefängnis und schiebt die Tat den Bikern in die Schuhe. Zwar wurde die Tat gefilmt, das Material ist nur leider außer Reichweite. Da stellt sich doch die Frage:
Ben – Wat nu!?

Die Aufgabenstellung ist klar: Unschuld beweisen, Ripburger aufhalten. Doch wie? Die Steuerung legt Ben schon einmal keine Steine in den Weg: Sam & Max – Hit the Road hatte die LucasArts-typische Darstellung der Verben und des Inventars über Bord geworfen und Vollgas verfeinerte diese Steuerung nun. Während die rechte Maustaste das Inventar einblendet, steuert die linke Maustaste sowohl Figur als auch das Verbenmenü in Biker-Optik. Auf diese einfache Art und Weise steuert sich Ben hervorragend durch den Adventure-Anteil.
Was es allerdings auch gibt: Action-Sequenzen. Ja, diese Chance ließ sich LucasArts leider nicht entgehen… Durch die Integration der INSANE-Engine aus Rebel Assault konnte das Team plötzlich nicht nur hochauflösende Vollbildvideos abspielen lassen, sondern auch einige Action-Szenen einbauen. Neben einer Crash-Derby-Einlage gibt es vor allem immer und immer wieder Motorrad-Kämpfe, bei denen Ben nacheinander den anderen Bikern Waffen abnehmen muss. Davon abgesehen, dass solche Dinge in einem Adventure nur bedingt etwas zu suchen haben: Es macht einfach keinen Spaß, die immer gleichen Aktionen – nur mit anderen Waffen – auszuführen. Einzig die kurze Animation am Ende des Kampfs, wenn Ben die gewonnene Waffe präsentiert, ist nett. Eine weitere Action-Sequenz ist in der Kickstand-Spelunke versteckt: Wer oft genug mit dem dort rumsitzenden Everett redet, darf mit dessen Messer ein kleines Spielchen spielen.

Neben der sehr hübschen Pixel-Grafik versprüht vor allem die Musik Biker-Vibes. Ursprünglich hatte das LucasArts-Team bei Soundgarden angefragt, deren Song Kickstand hervorragend zum Spiel gepasst hätte (siehe den Kneipen-Namen) – doch finanzielle Unstimmigkeiten verhinderten dies. Tim Schafer erinnert sich im Interview mit „Art of the Title“, dass seine Firma gar kein Geld für die Lizenzierung ausgeben wollte. Ein Angebot, das Soundgarden locker ausschlagen konnte. Stattdessen verwendete das Spiel Stücke der lokalen Band The Gone Jackals, deren Songwriter Keith Karloff ihr Demotape stilecht mit dem Motorrad vorbei brachte. Die Stücke des Soundtracks finden sich auch auf dem Bandalbum Bone to Pick.
Ben – Besser is das!

Im Frühjahr 2000 begann ein Team unter der Leitung von Larry Ahern, einen Nachfolger zu entwickeln: Full Throttle – Payback. Dieses Mal hätte sich Ben gegen ein Unternehmen gestellt, das alle asphaltierten Straßen abschaffen wollte. Stattdessen sollten die Menschen mit Hoverpads unterwegs sein – Motorräder blieben auf diese Weise im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke. Aber obwohl die Entwicklung gut voran kam und intern auch positiven Feedback erntete, wurde dem Spiel im November 2000 der Benzinhahn abgedreht. Art Director Bill Tiller ließ in einem Interview mit adventureclassicgaming.com verlauten, dass es Differenzen zwischen dem Team und „einer besonders einflussreichen Persönlichkeit“ gegeben habe.

2002 nahm LucasArts erneut Anlauf und schob Full Throttle – Hell on Wheels an die Startlinie. Die Wahl der Plattformen ließ nichts Gutes erahnen: PC, Xbox und Playstation 2. Und richtig, Hell on Wheels wäre ein Action-Adventure geworden. Freunde der Kampfsequenzen aus dem Vorgänger wären hier voll auf ihre Kosten gekommen, Rätsel-Fans eher nicht. Warum genau der Titel 2003 eingestellt wurde, ist nicht bekannt. Angeblich war LucasArts nicht mit der grafischen Qualität zufrieden. Die einzige offizielle Stellungnahme stammt vom damaligen LucasArts-Präsident Simon Jeffrey:
Wir möchten die vielen Fans von Full Throttle nicht enttäuschen und hoffen, dass jeder versteht, wie sehr wir uns bemühen, das bestmögliche Spielerlebnis zu liefern.
Statt eines Nachfolgers bekam die Spielerschaft 2017 ein gelungenes Remaster aus dem Hause Double Fine geliefert. Neben runderneuerter Grafik, die jederzeit per Knopfdruck ins Original umschaltet, gibt es einen Audio-Kommentar des Teams. Heutzutage offensichtlich unabdingbare Achievements runden diese Version ab.

Ben – Volle Latte!

Im Laufe der Jahre hat sich das Image von Vollgas ein wenig gewandelt. Wurden – wie anfangs ja erwähnt – 1995 die fehlenden fordernden Rätsel betrauert, gilt das Biker-Abenteuer heutzutage als gelungenes Einsteiger-Adventure. Auch die damals vergleichsweise kurze Spieldauer fällt nicht mehr ins Gewicht. Nur die Action-Sequenzen werden und werden nicht besser. Dennoch: Mit der remasterten Fassung kann man auch heute noch eine kleine Runde um den Block drehen. Die hervorragende Sprachausgabe (im Original unter anderem mit Mark Hamill) und die Motoren-Sounds sorgen selbst bei Lastenrad-Fahrern für wohlige Gänsehaut-Momente. Egal, ob Englisch oder Deutsch: Die Sprüche machen Spaß und Ben ist eine coole Sau. Spätestens bei der Trophäe „Na gut, da lass ich meinen Mund dran“ sollte auch ein Lächeln eure Mundwinkel zucken lassen. Zusätzlich empfiehlt sich ein Blick in das offizielle Lösungsbuch. Dort finden sich nicht nur schöne Skizzen, sondern neben der Lösung auch ein kurzes Making-Of der 3D-Grafiken.

Vollgas war schon ganz nett damals, vor allem aufgrund des Settings und der Musik. Schön, dass du das Spiel zum Jubiläum ein wenig geehrt hast. 🙂
Vollgas – Full Throttle hat auf alle Fälle eine Ehrung verdient. Allerdings zeichnete sich damals schon für mich persönlich ab, das ich mit dem Setting und der neue Engine mich nicht mehr richtig wohl gefühlt habe. 🙁 Beim Hunderätsel auf dem Schrottplatz habe ich es dann entnervt zur Seite gelegt und wurde später mit Lucasarts einfach nie mehr gut Freund. *seufz*
Ja, Full Throttle hatte ein paar missglückte Rätsel – aber welches LucasArts-Adventure hatte das nicht. Ich verzeihe ja auch dem besten Adventure ein schlechtes Rätsel. 🙂 Ja, okay, hier hatte es zwei oder drei. 😉
Aber, advfreak, haben dir das großartige The Dig und das fantastische Monkey Island 3 nicht gefallen? 😲